Erik der Wikinger
Gudruda. »Was willst du von mir?«
»Setzt ab, ihr Burschen, und verschwindet!« sprach Saevuna, »das, was ich sagen will, möchte ich allein sagen. Kommt zurück, wenn ich euch rufe.«
Die Knechte stellten den Stuhl auf dem Boden ab und gingen.
»Gudruda«, sagte die alte Dame, »ich habe mich von meinem Sterbebett erhoben und mich auf meiner letzten Reise über die Sümpfe hierher tragen lassen, damit ich mit dir sprechen und dich warnen kann. Ich höre, daß du meinen Sohn, Erik Hellauge, dem du versprochen bist, abgewiesen hast und dich darauf vorbereitest, dich Ospakar Schwarzzahn hinzugeben. Ich höre auch, daß du dies tun willst, weil ein bestimmter Mann, Hall von Lithtal – den ich von klein auf als Lügner und Feigling kenne und dem du früher selbst mißtraut hast – von den Orkney-Inseln nach Island gekommen ist und die Geschichte erzählt, Erik habe sich mit deiner Halbschwester Swanhild abgegeben. Und ich habe überdies gehört, daß Swanhild, Atlis Witwe, nach Island gekommen ist und Klage gegen Erik vorgebracht hat, weil er Atli, ihren Mann, getötet haben soll, und daß Erik zum Gesetzlosen erklärt wurde und seine Ländereien am Kaltrücken verfallen sind. Sage mir nun, Gudruda, Asmunds Tochter, sind diese Geschichten wahr?«
»Die Geschichten sind wahr, Mutter«, sagte Gudruda.
»Dann höre mich an, Mädchen. Erik entsprang meinem Leib, und von allen Lebenden ist er der beste und erste wie auch der tapferste und stärkste. Ich habe Erik als Kind aufgezogen und kenne sein Herz. Nun sage ich, was immer Erik auch getan oder nicht getan hat, nichts davon könnte ihn entehren. Vielleicht hat Swanhild ihn getäuscht – du bist eine Frau, und du kennst die Künste, in denen die Frauen erfahren sind, und die Kraft, die Freyja ihnen gibt. Du weißt auch gut, von welchem Geblüt diese Swanhild ist; und vielleicht kannst du dich erinnern, was sie dir antun wollte und mit welcher Gesinnung sie Erik ansah. Vielleicht kannst du dich erinnern, wie sie gegen dich und Erik Pläne schmiedete – ay, und wie sie dich vom Goldfuchs stoßen wollte. Sag also, wirst du ihr Wort akzeptieren? Wirst du das Wort dieser Tochter einer Hexe akzeptieren? Willst du nicht an ihre Mutter Groa denken und daran, wie Groa deinem Vater mitgespielt hat, und meiner Verwandten Unna? Wie die Mutter ist, so wird die Tochter sein. Willst du Erik verstoßen, und das, ohne ihn vorher angehört zu haben?«
»Es gibt keinen Platz für Zweifel mehr, Mutter«, sagte Gudruda. »Ich habe Beweise dafür: Erik hat mich aufgegeben.«
»Das glaubst du, Kind; aber ich sage dir, du irrst dich! Erik liebt dich, wie er dich zuvor geliebt hat, und er wird dich immer lieben.«
»Könnte ich es doch nur glauben!« sagte Gudruda. »Könnte ich doch nur glauben, daß Erik mich noch liebt – ay, auch wenn er treulos war –, ich würde lieber sterben als Ospakar heiraten!«
»Du bist dumm, Gudruda, und du wirst deine Torheit noch bitter bereuen. Ich bin ausgebrannt, und der Tod kommt mir immer näher – Haß und Liebe, Hoffnung und Furcht sind nun weit von mir; aber ich weiß, eine Frau, die einen Mann liebt und einen anderen heiratet, ist verrückt. Schande wird ihre Mitgift sein und Verbitterung ihr Brot. Im Unglück wird sie leben, und wenn die Stunde ihres Todes kommt, wartet nur die Wildnis auf sie. Wie an einen fürchterlichen Wintersturm wird man sich an ihr Dasein erinnern!«
Da weinte Gudruda laut. »Geschehen ist geschehen«, rief sie: »In der Halle sitzt der Bräutigam, und die Braut erwartet ihn in ihren Gemächern. Geschehen ist geschehen – ich darf nicht mehr darauf hoffen, noch vor Ospakar gerettet zu werden.«
»Ja, geschehen ist geschehen, und doch kann es nur zu nichts führen; aber bald wird das geschehen, was niemals ungeschehen gemacht werden kann! Gudruda, lebe wohl! Nie wieder werde ich deine Stimme hören. Ich halte dich für schamlos, du treuloses Weib, die du in deiner närrischen Eifersucht bereit bist, dich in die Arme eines Mannes zu verkaufen, den du haßt! Ho, ihr Burschen, kommt her! Bringt mich von hier fort!«
Nun kamen die Männer wieder herein und nahmen Saevunas Stuhl auf. Gudruda sah zu, wie sie davongetragen wurde. Dann sprang sie plötzlich auf und lief ihr bitterlich weinend in die Halle nach.
Doch als Saevuna, Eriks Mutter, hinausgetragen wurde, begegneten ihr Ospakar und Björn.
»Halt«, sagte Björn. »Was hat diese alte Vettel hier zu suchen? Und warum weint Gudruda, meine
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