Erik der Wikinger
haben nichts von ihm zu befürchten. Er liegt in einer Pfütze aus Ale.«
Da sah auch Gizur nach. Das Mondlicht erhellte den kleinen Raum, und er sah Skallagrims mächtige Gestalt. Der Kopf des Berserkers war zurückgeworfen, sein Mund stand weit offen. Er schnarchte laut in seinem trunkenen Schlaf und war am ganzen Leib mit braunem Ale bedeckt, denn der Zapfen des Fasses lag auf dem Boden. In der linken Hand hielt er ein Trinkhorn, aber mit der rechten umklammerte er immer noch die Axt.
»Nun müssen wir hinein«, sagte Swanhild. Gizur schreckte zurück, doch sie sprang leichtfüßig wie ein Fuchs auf das Fensterbrett und glitt von dort aus in die Vorratskammer. Dann mußte Gizur ihr wohl oder übel folgen, und schließlich stand er neben ihr in dem Raum, und zu ihren Füßen lag der trunkene Berserker. Gizur blickte zuerst auf sein Schwert, dann auf Skallagrim – und schließlich auf Swanhild.
»Nein«, flüsterte sie, »rühre ihn nicht an. Vielleicht schreit er auf – und wir jagen wertvolleres Wild. Soviel, wie er getrunken hat, wird er noch eine Weile hier liegen. Folge mir, wohin ich dich führe.«
Sie nahm ihn bei der Hand, glitt über die Schwelle und ging den Gang entlang, bis sie zur großen Halle kam. Swanhild sah gut in der Dunkelheit, und überdies kannte sie den Weg. Schließlich standen sie in der leeren Halle. Das Feuer war niedergebrannt, aber auf dem Herd glühten noch zwei Kohlen wie rote, zornige Augen.
Eine Weile stand Swanhild lauschend da, aber es gab nichts zu hören. Dann näherte sie sich dem abgetrennten Bett, in dem Gudruda schlief, und lauschte wieder, das Ohr an den Vorhang gelegt. Gizur folgte ihr und stieß dabei mit dem Fuß gegen eine Bank. Sie fiel um. Nun hörte Swanhild gemurmelte Worte und das Geräusch von Küssen. Sie fuhr zurück, und Zorn erfüllte ihr Herz. Gizur hörte Erik, wie er sagte: »Ich werde mich erheben.« Da wollte er fliehen, aber Swanhild faßte ihn am Arm.
»Keine Angst«, flüsterte sie, »sie werden bald tief schlafen.«
Er spürte, wie sie die Arme ausstreckte, und schließlich sah er ein gar wundersames Schauspiel: Swanhilds Augen glühten in der Dunkelheit wie Kohlen auf dem Herd. Nun leuchteten sie noch heller, so hell, daß er die ausgestreckten Arme und das weiße, verkniffene Gesicht darunter sehen konnte, und dann erloschen sie, nur um plötzlich wieder hell zu werden. Und die ganze Zeit über sprudelten leise Worte durch Swanhilds zusammengepreßte Zähne.
Diese Worte flüsterte sie, heftig und leise:
Gudruda, meine Schwester, höre und schlafe! Mit unserem Blutsband bitte ich dich, schlafe! Mit der Kraft, die in mir ist, bitte ich dich, schlafe! Schlafe! Schlafe fest!
Erik Hellauge, höre und schlafe! Mit dem Band der Sünde befehle ich dir, schlafe! Mit dem Blut Atlis befehle ich dir, schlafe! Schlafe! Schlafe fest!
Dann warf sie dreimal die Hände in die Luft und sagte:
Von der Liebe zum Schlaf!
Vom Schlaf zum Tod!
Vom Tod zu Hei!
Sagt, ihr Liebenden, wo werdet ihr euch wieder küssen?
Dann erlosch das Licht in ihren Augen, und sie lachte laut. Und noch während sie flüsterte, wurden die Worte, die die beiden auf dem Bett sprachen, leiser und leiser, bis sie schließlich erstarben und sich Stille über die Halle legte.
»Du hast keinen Grund mehr, Eriks Schwert zu fürchten, Gizur«, sagte sie. »Nichts wird ihn nun wecken, bis das Tageslicht kommt.«
»Du bist furchteinflößend!« gab Gizur zurück, und er schüttelte sich wirklich vor Angst. »Ich bitte dich, sieh mich nicht mit diesen flammenden Augen an!«
»Fürchte dich nicht«, sagte sie, »das Feuer ist erloschen. Und nun an die Arbeit.«
»Was müssen wir also tun?«
»Du mußt es tun. Du mußt hinein und Erik töten.«
»Das kann ich nicht – das werde ich nicht!« sagte Gizur.
Sie wandte sich um und sah ihn an, und siehe da, schon wieder flammten ihre Augen auf und schienen sich in die seinen zu brennen.
»Du wirst tun, worum ich dich bitte«, sagte sie. »Mit Eriks Schwert wirst du Erik töten, oder ich werde dich an Ort und Stelle verfluchen und so schrecklich Böses über dich bringen, daß du es dir nicht vorstellen kannst.«
»Schau nicht so, Swanhild«, sagte er. »Geh voran – ich komme.«
Nun schlichen sie in Gudrudas durch Vorhänge abgetrennte Kammer. Es war so dunkel, daß sie nichts sehen konnten, und sie hörten auch nichts bis auf das schwere Atmen der Schlafenden.
Nun muß erzählt werden, daß Swanhild in diesem Moment
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