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Erik der Wikinger

Erik der Wikinger

Titel: Erik der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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sie, und Gudruda schaute auf.
    »Was willst du von mir, Swanhild?« fragte sie. »Bist du gekommen, um mich in meiner Trauer zu verspotten?«
    »Nein, Stiefschwester, denn dann müßte ich mein eigenes Leid verspotten. Ich komme, um meine Tränen mit den deinen zu vermischen. Siehst du, wir haben Erik geliebt, du und ich, und Erik ist tot. Laß uns unseren Haß in seinem Grab begraben, aus dem keiner ihn zurückholen kann.«
    Gudruda musterte sie kalt, denn in dieser Stunde war sie keiner anderen Empfindung als der Trauer um Erik fähig.
    »Trolle dich hinfort«, sagte sie. »Vergieße deine eigenen Tränen und laß mich in Ruhe die meinen weinen. Mit dir zusammen werde ich Erik nicht betrauern.«
    Swanhild runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippen. »Ich werde kein zweites Mal mit Friedensworten zu dir kommen, meine Rivalin«, sagte sie. »Erik ist tot, aber mein Haß, der aus Eriks Liebe für dich entstand, lebt weiter und wächst, und seine Blume wird dein Tod sein, Gudruda!«
    »Nun, wo Hellauge tot ist, würde ich ihm gern auf seinem Weg folgen: Stoße die Tore also weit auf, wenn es dir beliebt«, gab Gudruda zurück und beachtete sie nicht mehr.
    Swanhild ging, aber nicht weit. Auf der anderen Seite einer Graskuppe warf sie sich zu Boden und trauerte, wie ihr hartes Herz es zuließ. Sie vergoß keine Tränen, sondern saß stumm da. Sie schaute mit leeren Augen in die Vergangenheit und in die Zukunft, und fand nichts Gutes in ihr.
    Aber Gudruda weinte, als sich die Bürde ihres Verlustes auf sie legte. Sie weinte schwere, stumme Tränen und rief in ihrem Herzen nach Erik, der gestorben war. Sie rief dem Tod zu, er möge zu ihr kommen und ihr den Schlaf oder Erik bringen.
    So saß sie da, und so trauerte sie, bis sie keiner Trauer mehr fähig war und sich der Schlaf zu ihr schlich und sie träumte. Gudruda träumte, sie sei tot und säße nahe der goldenen Tür, die sich in Odins Haus in Walhalla befindet, durch die die Krieger für immer eintreten. Dort saß sie Äonen auf Äonen, lauschte dem Donner von tausend mal zehntausend trampelnden Füßen und beobachtete die harten Gesichter der Auserwählten, als sie in Heeren hinausmarschierten, um auf den Wiesen zu kämpfen. Und als sie dort saß, kam schließlich ein Einäugiger, der eine leuchtende Rüstung trug, und sprach zu ihr. Er war wunderbar anzuschauen und alt, und sie erkannte ihn als Odin den Allvater.
    »Wen suchst du, Maid Gudruda?« fragte er, und die Stimme, mit der er sprach, war die des Wassers.
    »Ich suche Erik Hellauge«, gab sie zurück, »der vor tausend Jahren durch das Tor schritt. Die Liebe zu ihm hat mir das Herz gebrochen.«
    »Erik Hellauge, Thorgrimurs Sohn?« sprach Odin. »Ich kenne ihn gut; kein kühnerer Krieger ist durch Walhallas Tore geschritten, und keiner wird sich dem Kommen des grauen Wolfes Fenrir mehr entgegenstellen. Gehe weiter und lasse ihn mit seinem Ruhm und seinem Gott zurück.«
    Dann, in ihrem Traum, weinte sie bitterlich und bat Odin in Freyjas Namen, daß er ihr Erik für eine kleine Weile geben möge.
    »Was willst du dafür geben, Maid Gudruda?« fragte Odin.
    »Mein Leben«, gab sie zurück.
    »Gut«, sagte er, »für eine Nacht soll Erik dein sein. Dann stirbst du, und laß dies der Grund deines Todes sein.«
    Und Odin sang dieses Lied:
    Töchter, die ihr den Tod bestimmt,
    Höret des Allvaters Wort:
    Wenn mein Atem die Speere trägt,
    Weicht Hellauge ihnen aus,
    Bis er einmal geschlafen hat
    Mit seinem Weib Gudruda –
    Dann soll euer Ruf erschallen;
    Dann erst laßt Erik fallen!
    Und Gudruda erwachte, aber in ihren Ohren schien der mächtige Wasserfall noch immer mit Odins Stimme zu sprechen:
    Dann soll euer Ruferschallen;
    Dann erst laßt Erik fallen!
    Sie erwachte aus diesem weltentrückten Schlaf und blickte auf, und siehe da, vor ihr, mit zerschmettertem Schild und über und über beschmiert mit dem roten Regen des Kriegers, stand der goldbehelmte Erik. Dort stand er, groß und ansehnlich anzuschauen, und sie betrachtete ihn zitternd und erstaunt.
    »Bist du es wirklich, Erik, oder ist es noch mein Traum?« fragte sie.
    »Ich bin gewiß kein Traum«, sagte Erik. »Aber warum siehst du mich so an, Gudruda?«
    Sie erhob sich langsam. »Ich dachte«, sagte sie, »ich dachte, du seist tot, gestorben durch Skallagrims Hand.« Und mit einem lauten Schrei fiel sie ihm in die Arme und ließ sich schluchzend halten. Es war ein hübscher Anblick, Gudruda die Schöne so zu sehen, ihr goldenes Haar über

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