Erik der Wikinger
und liefen auf sie zu, und unter ihnen war Hall der Maat.
Da warfen Erik Hellauge und Skallagrim Lammschweif plötzlich die Umhänge beiseite und erhoben sich. Sie waren schauerlich und grimmig anzusehen. Ihre Wangen waren eingefallen, die Augen vor Müdigkeit weit aufgerissen. Ihre Harnische waren mit einer dicken Sole überzogen, und offene Wunden klafften ihnen an Gesicht und Händen. Die Männer sahen sie und schreckten vor Furcht zurück, denn sie hielten sie für Zauberer, die sich in Eriks und des Berserkes Körper aus dem Meer erhoben hatten.
Da sang Erik dieses Lied:
Schnell und sicher auf den Wellen
Folgten wir dem Rabenschiff.
Hob sich Rans Brust schäumend vor Wut,
Schoß die Gischt jetzt durch die Luft!
Doch sprang Erik kriegsbegierig
An Bord mit dem Berserker!
Schreiend flohen ihre Gegner!
Wieso riß das Enterseil?
Hall hörte dies und wich zurück, denn nun sah er, daß diese beiden wirklich Erik und Skallagrim waren, die dem Meer lebendig entronnen waren, und daß sie von seiner Niederträchtigkeit wußten.
Erik sah ihn an und sang weiter:
Dann jagte die Gudruda fort,
Ließ den Herrn in Feindeshand;
Hellauge und der Berserker
Gegen eine Übermacht.
War die See auch noch so schwer nun,
Standen diese beiden gut.
Dann versprach man Erik Frieden,
Wenn er sich nur fesseln ließ!
Doch es kam die Graue Ratte,
Die Hexenfrau des Grafen;
Erzählte ihnen von Verrat.
Sie waren nun gewappnet;
Es schlichen sich die Wölfe dann
Zu den beiden Befreiten;
Aufgerieben wurden sie nun
Bis auf ihren letzten Mann.
Dann allein auf diesem Raben
Trotzten sie dem stürmischen Meer.
Ay, drei Tage und drei Nächte
Hielten sie das Ruder fest.
Sank der Drache, retteten sie
Sich in jenes kleine Boot.
Stehn nun hier auf der Gudruda –
Wer durchschnitt das Enterseil?
XV
WIE ES ERIK IN DER STADT LONDON ERGING
Die Männer standen erstaunt da, aber Hall der Maat schreckte zurück.
»Halt, Gefährte«, sprach Erik, »ich habe dir etwas zu sagen, was man mit Liedern nicht sagen kann. Hört, meine Schildgenossen! Wir haben einander geschworen, uns die Treue zu halten, selbst bis in den Tod; ist dem nicht so? Was ist dann über den Mann zu sagen, der die Gudruda losschnitt und uns zurückließ, damit wir unter den Händen des Feindes den Tod finden?«
»Wer war dieser Mann?« fragte eine Stimme.
»Dieser Mann war Hall von Lithtal«, sagte Erik.
»Das stimmt nicht!« sagte Hall und nahm all seinen Mut zusammen. »Das Tau riß unter dem Aufbäumen des Schiffes, und danach konnten wir wegen des starken Seegangs nicht an euch heran.«
»Du lügst!« brüllte Skallagrim. »Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie du die Axt auf das Tau fallen ließest! Ein Lügner bist du und ein Feigling! Du warst neidisch auf deinen Herrn Hellauge und hattest im Sinn, ihn auf der Rabe sterben zu lassen, um dir dann seine Schuhe an deine feigen Füße zu binden. Wenn es auch sonst keiner gesehen hat, ich habe es gesehen, und ich sage dies: Wenn es nach meinem Willen geht, werde ich dich bei lebendigem Leib mit dem gleichen Tau am Mast aufknüpfen, bis dir die Möwen dein verschlagenes Herz herausreißen!«
Nun wurde Hall sehr weiß, und seine Knie zitterten heftig. »Es ist wahr«, sagte er, »ich habe das Tau durchtrennt, aber nicht, weil ich Böses im Sinn hatte. Hätte ich es nicht getan, wäre das Schiff gesunken und alle an Bord mit ihm.«
»Haben wir nicht geschworen, Hall«, sagte Erik streng, »zusammen zu kämpfen und zusammen zu fallen – zusammen zu fahren und, wenn es sein muß, die Fahrt zusammen zu beenden, und hast du darauf nicht den Eid geleistet? Sagt, Gefährten, welche Belohnung soll dieser Mann erhalten, weil er uns ein so guter Kamerad war und sich so um euer Leben gesorgt hat?«
Wie mit einer Stimme antworteten die Männer: »Den Tod!«
»Hörst du, Hall?« sagte Erik. »Doch ich möchte nicht so hart mit einem umspringen, dem ich kürzlich erst Kameradschaft schwor. Verschwinde von unserem Schiff, und laß uns dein Kötergesicht nie wieder sehen. Verschwinde, sage ich, bevor ich meine Gnade wieder bereue.«
Dann nahm Hall unter dem lauten Geschrei der Männer seine Waffen, schlich, ohne ein Wort zu sagen, in das achtern liegende Boot der Rabe und ruderte ans Ufer; und Erik sollte sein Gesicht viele Monate lang nicht mehr sehen.
»Du hast töricht daran getan, Herr, dieses Wiesel ziehen zu lassen«, sagte Skallagrim. »Eines Tages wird es dich noch einmal in die Hand
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