Erinnert
mein Gesicht unter dem Vorhang meiner Haare. Eine Geste, die früher nicht zu mir gehörte. Ist sie nicht ein Anzeichen von Schwäche? Fünftes Gebot Verdammt!
„Na dann erzähl mal! Wer bist du? An was erinnerst du dich?“, fragt Hope und ihre Stimme flattert wie ein Schmetterling durch unser Schlupfloch zu mir herüber. Ich sehe durch meine Haare, wie Adam den Kopf neigt, sein Gesicht mir zuwendet. Wie gut er aussieht.
Die letzten Wochen haben mich eins gelehrt. Ich bestehe nicht aus Erinnerungen. Ich bin nicht nur soviel wie ich weiß! Ich setze mich auf und straffe meine Schultern.
„Ich bin halb Mensch halb Bestie. Ich bin ein Symbiont. Und ich bin eine junge Frau und ein Alphawolf“, sage ich ohne zu Adam zu blicken. Hope muss grinsen.
„Also manchmal habe ich echt Schiss vor dir“, kommentiert Hope meine Selbstfindungsphase.
„Willst du uns von deinen Erinnerungen erzählen? Das Leben das du hattest, vor Adams Haus am See und bevor sich Bestien auf deiner Haut bewegten und du unter Wasser atmen konntest und so weiter.“
„Du kannst unter Wasser atmen?“, raunt Adam.
„Kann ich nicht. Ich kann einfach nur lang die Luft anhalten.“
„Voll krass lang! Übernatürlich extrem lang. Ich habe sie beobachtet“, ergänzt Hope. Adam schweigt. „Was ist jetzt? Lust was zu erzählen aus der Zeit davor?“
Will ich das?
Warum eigentlich nicht.
„Zur Sektion 13 gibt es nicht viel zu sagen. Wir töteten Bestien, suchten und retteten sehende Kinder, um sie den Gesandten zu übergeben und hatten Prüfungen zu bestehen.“
„Prüfungen? Wen Gott liebt, den prüft er.“
„Ist das von dir?“
„Nein von Seneca“, sagt Hope.
„Wer soll das sein?“, frage ich.
„Lucius Annaeus Seneca. Er ist schon seit mehr als 2000 Jahren Tod. War ein Philosoph und das Kindermädchen von Kaiser Nero. Er hat auch gesagt, dass es weise sei, als Herrscher Milde walten zu lassen. Das habe ich mir gemerkt.“
„Du liest historische Bücher?“
„Alles was ich kriegen kann. Hättest du mir wohl nicht zugetraut, was? Jetzt erzähl weiter. Wen meinst du mit, wir? Hattest du Freunde in Sektion 13?“
„Gouch, Shaco, Flavius.“ Ich denke nach. „Und Trish?“ Ich erinnere mich, wie sie mich ans Ende der Liste gesetzt hatte. „Sie vielleicht auch. Asha und Jesse, sind mehr als Freunde.“
„Als du wieder zu dir gekommen bist, hast du von dieser Asha erzählt. Was ist mit ihr? Wer ist sie?“
„Sie ist etwas ganz Besonderes. Sie ist wie eine Schwester für mich. In der Nacht, in der mich Adam gekidnappt hat, ist sie geflüchtet. Wegen ihr, vor allem wegen ihr, muss ich zurück!“
„Ich habe dich nicht gekidnappt.“
„Natürlich hast du das“, flüstere ich.
„Und du hast ihm dafür die Kehle aufgeschlitzt. Ich denke ihr seid quitt“, grinst Hope. „Und was ist mit diesem Jesse? War er wie ein Bruder für dich?“
„Nein. Wir waren ein Paar.“
„Ach was. Ein Liebespaar? Krass. Wie spannend. Erzähl. Wie sieht er aus?“
„Er ist der umwerfendste Typ, den ich je gesehen habe“, lüge ich.
Hope zieht eine Augenbraue hoch. Ich spüre, dass sie mich durchschaut. Ich muss überlegen, was ich als nächstes sage. „Er hat mich beschützt, war immer für mich da. Wir waren die Kämpfer im Team.“ Ich spüre die Anspannung neben mir. Adams Anspannung. Ich spüre mit jeder Faser meines Körpers, dass ihn meine Erinnerungen quälen. Aber ich werde es nicht zugeben, dass Jesse und ich kein wirkliches Liebespaar waren. Nur weil Jesse und ich uns nie getraut hatten, eine Beziehung einzugehen. Nur weil ich es nie zugelassen habe?
„Erzähl von früher!“, fordert Hope mich auf.
„Was glaubst du, was ich gerade tue?“
„Ich meine die Zeit vor Team Sektion 13. An was kannst du dich erinnern?“ Ich schicke meinen Geist in die entferntesten Winkel meiner Erinnerungen auf Reisen. Hopes Augen sind groß, erwartungsvoll. Adams Atem geht unstet und er reibt sich nervös seine Stirn. Schluckt.
„Eine Bestie hat mich angegriffen. In irgendeiner Schule, auf irgendeiner Mädchentoilette“, presse ich die Worte wie verlorengegangene Puzzleteile über meine Lippen. „Zwei Typen haben mich gerettet. Dann wurde ich zur Nahkämpferin ausgebildet!“
„Hattest du nie Heimweh, deine Familie vermisst?“ Familie? Ich schließe meine Augen, versuche mich zu erinnern. Spüre keine Blockaden in mir, keine Wände die mich vor meiner Vergangenheit abschotten. Aber da ist nicht viel, an das ich mich erinnern
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