Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
mitzunehmen.«
Seine Augen waren ganz ruhig. Irgendwie erinnerte er sie an ihren Vater.
66
Es brannten schon zwei Feuer, an denen die Wachen zusammengerollt lagen und schliefen. Aber Moses zündete an der Rückseite des Hauses ein drittes Feuer an. Hier hatte Ana einen kleinen Gemüsegarten anlegen und Bäume mit Apfelsinen und Zitronen anpflanzen lassen. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in der Stadt traf sie auf einen Afrikaner, der sie wie eine Ebenbürtige behandelte. Das, woran sie gewöhnt war, die falsche und erzwungene Untertänigkeit der Schwarzen, fehlte ihm. Moses sprach zu ihr und sah ihr dabei in die Augen. Es war auch das erste Mal, dass ein schwarzer Mann sich in ihrer Gesellschaft auf einen Stuhl setzte. Normalerweise saß sie, während der schwarze Mann, mit dem sie sprach, stehenblieb. Schon Ana Dolores hatte ihr erklärt, es müsse so sein.
Sie fragte ihn direkt. Warum war er so anders?
»Warum sollte ich dir nicht in die Augen sehen?«, antwortete Moses. »Du kannst die Schwarzen nicht hassen oder verachten, da du meiner Schwester zu helfen versuchst. Du bist auch keine Missionarin. Darum bist du für mich ein ungewöhnlicher Mensch.«
»Was machst du in den Minen im Inland? Gräbst du nach Kohle?«
»Nach Diamanten. Aber natürlich ist das auch Kohle. Da es derselbe Grundstoff ist.«
Ana kannte den Unterschied zwischen Diamanten und Kohle nicht und verstand auch seine Antwort nicht. »Mit Kohle heizt man. Diamanten trägt man an den Fingern. Wie kann es dasselbe sein?«
»Richtig alte Kohle verwandelt sich in Diamanten«, sagte Moses. »Eines Tages werde ich dir erklären, was wir bei Rand aus der Erde holen.«
Ana wusste, woher er kam. Aber wie konnte er wissen, wer sie war? Hatte Isabel es ihm erzählt?
»Ich weiß, was ich weiß«, erwiderte er auf ihre Frage.
Eine weitere Erklärung gab er ihr nicht. Stattdessen begann er, vom Leben in den Minen zu erzählen, ohne dass sie danach gefragt hätte.
»Die Weißen, die an unseren Küsten an Land gegangen sind, haben immer in erster Linie nach dem gesucht, was sich in der Erde verbirgt«, sagte Moses. »Deshalb fällt es uns Afrikanern schwer, euch zu verstehen. Wie kann man so weit reisen und bereit sein, an Fiebern oder Schlangenbissen zu sterben, nur um nach etwas zu suchen, was so schwer zu finden ist? Natürlich kommen auch viele, um zu jagen. Andere suchen Schutz vor Verfolgung, die sie in ihren Heimatländern erlebt haben. Wir verstehen nicht, warum sie sich dann entscheiden, ein Leben zu leben, in dem sie ihrerseits unsere Verfolger werden. Weiße Menschen sind unbegreiflich, aber gerade deshalb leicht zu verstehen, da wir wissen, worauf sie aus sind. Aber nicht einmal das Graben wollen sie selbst machen, das müssen wir tun. Die Weißen haben uns in Diener der Unterwelt verwandelt. Eines Tages wird das zu Ende gehen, genau wie die Quellen des Goldes und der Diamanten versiegen werden.«
»Was wirst du tun, wenn deine Schwester wieder frei ist?«, fragte Ana.
»Ich werde diese Minenschächte, die ich so gut kenne, dazu benutzen, um meine Schwester und ihre Kinder zu schützen. Dorthin werde ich sie nach der Flucht bringen. Dass wir uns in ein anderes Land begeben, dass wir eine Grenze überschreiten, die die Weißen gezeichnet haben, bedeutet nichts. Alle eure Grenzen sind wie Striche in der roten Erde, die Kinder mit Stöckchen gezogen haben.«
Er verstummte und sah das Feuer verglimmen. Ana dachte, er habe ein Feuer gemacht, das so lange brennen sollte, wie er ihr etwas zu sagen hatte. Als die Glut erloschen war, stand er auf und ging. Seine letzten Worte waren, dass sie sich am folgenden Tag an der Festung treffen sollten.
Ana kehrte ins Schlafzimmer zurück. Carlos erwachte, als sie sich ins Bett legte. Er streckte die Arme nach ihr aus. Aber im Moment wollte sie keinen Affen neben sich im Bett haben. Nicht, nachdem sie den Mann, der Moses hieß, getroffen und mit ihm geredet hatte. Sie schubste Carlos weg, nicht fest, aber stark genug, damit er verstand, dass sein Schlafplatz die Deckenlampe war. Mit einem Seufzer und einem ärgerlichen Fauchen kletterte Carlos hinauf und legte sich hin, einen Arm über den Rand der schalenförmigen Lampe hängend.
Sie stand früh auf, saß lange vor dem Spiegel, betrachtete ihr Gesicht und dachte, sie könne es kaum erwarten, Moses wiederzusehen. Zu ihrem Erstaunen kam ihr vor dem Spiegel ein Gedanke, der für sie unerhört war: Moses war ein Mann, von dem sie sich vorstellen
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