Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
spähte zu ihrem Fenster hinauf. Sie eilte die Treppe hinunter, an den Nachtwächtern vorbei, die ihre Feuer gelöscht hatten und sich an einer Pumpe an der Rückseite des Hauses wuschen.
Moses hielt einen Spaten in der Hand. »Es hat nicht gewirkt«, sagte er. »Sie ist immer noch gefangen.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es. Sie weiß es. Es sind zu viele weiße Menschen in ihrer Nähe, die die Geister verschrecken. Deshalb werde ich heute anfangen, mich unter der Mauer durchzugraben. Es dauert länger, als wenn sie selbst hinausgeflogen wäre. Aber wir müssen Geduld haben.«
»Von wo aus willst du graben? Glaubst du wirklich, das ist möglich?«
»Es muss möglich sein!«
»Kannst du das wirklich allein schaffen? Auch wenn du es von den Minenschächten her gewöhnt bist?«
Moses antwortete nicht. Er drehte sich nur um und ging mit eiligen Schritten den Hang hinunter auf den Platz zu, auf dem die Festung lag.
Ana blieb stehen, obwohl sie nur ihren Morgenmantel anhatte. Erst als die Nachtwächter auf den Hof kamen, um nach Hause zu gehen, verließ sie die Straße und trat wieder ins Haus. Was immer Moses und Isabel über Schmetterlingsflügel am Rücken der Menschen dachten – sie war die einzige Person, die Isabel helfen konnte. Sie legte sich wieder ins Bett und grübelte, bis sie einen Entschluss gefasst hatte. Sie zog sich an und packte den größten Teil des Geldes aus Senhor Vaz’ Schubladen und aus dem Tresor in einen großen Wäschekorb. Julietta half ihr, den Korb zum Auto zu tragen, als es Zeit wurde für den Besuch bei Isabel.
»Soll sie das alles essen?«, fragte Julietta neugierig.
»Du stellst zu viele Fragen«, sagte Ana streng. »Ich kann nicht auf alle antworten. Du musst lernen, den Mund zu halten. Außerdem ist es ein Wäschekorb. Nichts, worin man Essen transportiert.«
Der Chauffeur half ihr, den Korb in die Festung zu tragen. Sullivan, diesmal in seiner gewöhnlichen Uniform, erwartete sie.
»Ich möchte mit Ihnen unter vier Augen sprechen«, sagte Ana. »Und ich kann diesen Korb nicht allein tragen.«
Sullivan betrachtete sie verwundert. Dann rief er zwei Soldaten, die den Korb in sein Zimmer trugen. Ana kam nach und schloss die Tür hinter ihnen. Der Korb war mit einem orientalischen Läufer bedeckt, den Senhor Vaz von einem zahlungsunfähigen Kunden bekommen hatte.
Sullivan setzte sich hinter seinen dunkelbraunen Schreibtisch und zeigte auf einen Besucherstuhl. »Sie wollten mit mir sprechen?«
»Ich will es so sagen, wie es ist. Isabel wird hier nicht überleben. Deshalb bin ich bereit, Ihnen dieses Geld zu geben, damit sie eine Möglichkeit zur Flucht bekommt.«
Sie stand auf und deckte das Geld auf, das gebündelt war und den ganzen Korb füllte. »Das ist alles, was ich habe«, sagte Ana. »Ich verspreche natürlich, keinem Menschen von diesem Geld zu erzählen. Ich verlange nur eines, und das ist, dass Isabel freikommt.«
Sullivan setzte sich wieder hinter den Tisch, nachdem er das Geld abgeschätzt hatte. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Warum bedeutet sie Ihnen so viel?«
»Ich habe gesehen, was geschehen ist. Ich weiß, warum sie es getan hat. Ich hätte dasselbe tun können. Aber ich wäre nie in einen unterirdischen Kerker gesperrt worden. Weil ich weiß bin.«
Sullivan nickte, ohne etwas zu sagen. Vom Hof her hörte man das Meckern der Ziegen. Ana wartete.
Es dauerte, bis er etwas sagte. Schließlich wandte er sich ihr zu. »Das klingt nach einer ausgezeichneten Idee«, sagte er. »Es ist nicht unmöglich, mit mir einig zu werden. Aber es ist nicht genug.«
»Ich habe nicht mehr.«
»Es ist nicht Geld, was ich verlange.«
Ana dachte, Sullivan hätte vielleicht denselben Wunsch wie Pandre. »Sie sind natürlich jederzeit in meinem Etablissement willkommen«, sagte sie. »Und Sie müssen nicht zahlen.«
»Sie verstehen immer noch nicht, was ich meine«, sagte Sullivan. »Es ist ganz richtig, dass ich mir einen Besuch bei Ihnen und all den schönen und verlockenden Frauen vorstelle. Aber ich erwarte, dass Sie es sind, die mir in ein Zimmer folgen und dort die Nacht mit mir verbringen wird. Keine andere. Ich will die Frau haben, die kein anderer Kunde bekommen konnte.«
Ana bezweifelte nicht, dass es ihm ernst war. Er würde sich auch nicht überreden lassen, eine der anderen Frauen zu akzeptieren. Er hatte sich entschlossen.
»Das Geld kann hierbleiben, bis Sie Ihren Entschluss gefasst haben«, sagte er. »Ich garantiere Ihnen, dass ich nichts
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