Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Ausdruck, obwohl es mehr Geld war, als sie je gesehen hatten.
»Ihr müsst nicht hierbleiben«, sagte sie. »Abend für Abend, Nacht für Nacht. Ihr könnt wieder mit euren Familien leben.«
Ana hatte während ihrer kleinen Rede gestanden. Jetzt setzte sie sich auf den Stuhl aus dunkelrotem Plüsch, den sie unter den Baum gestellt hatten. Niemand sagte etwas. Ana war an diese Stille gewöhnt und wusste, dass sie sie selbst durchbrechen müsste. Diesmal aber ergriff Felicia wieder das Wort. Sie hatte sich vorbereitet, als hätten alle schon gewusst, was Ana sagen würde.
»Wir folgen der Senhora«, sagte Felicia. »Wo auch immer die Senhora sich entschließt, ein Bordell zu eröffnen, folgen wir nach.«
»Aber ich werde nie wieder in meinem Leben ein Bordell besitzen oder betreiben! Ich gebe euch Geld, damit ihr ein anderes Leben führen könnt. Und was würde aus euren Familien werden, wenn ihr mir folgt?«
»Wir nehmen sie mit. Wir folgen der Senhora, wohin auch immer. Wenn es nur kein Land ist, in dem es keine Männer gibt.«
»Das ist unmöglich! Versteht ihr nicht, was ich euch sage?«
Niemand antwortete. Ana begriff, dass das, was Felicia vorgebracht hatte, für alle galt, die um den Baum versammelt waren. Die Frauen glaubten wirklich, sie würde irgendwo ein neues Bordell eröffnen. Und sie wollten ihr folgen. Sie wusste nicht, ob sie gerührt oder böse über das sein sollte, was ihr als unbegreifliche Einfalt erschien.
Sie dachte: Ich werde einen Lemmingzug des Elends zu einem unbekannten Ziel führen. Für diese Frauen bin ich das, was Forsman für Elin war: eine Garantie dafür, dass ein besseres Leben möglich ist.
A Magrinha war plötzlich aufgestanden und hatte den Garten verlassen. Jetzt kam sie zurück, eine große Echse tragend. Ana wusste, dass es eine Halakavuma war.
»Diese Echse besitzt viel Weisheit«, sagte Felicia. »Wenn Menschen einer Echse wie dieser begegnen, fangen sie sie und bringen sie zu ihrem Stammeshäuptling. Eine Halakavuma kann dem Häuptling kluge Ratschläge geben. Und jetzt hat die Senhora Ana lange genug auf den Ratschlag von falschen Menschen gehört. Deshalb haben wir nach dieser Echse gesucht, die der Senhora Ana erzählen kann, was am besten ist. Die Echse ist wie eine kluge weise Frau.«
Ana bekam die krokodilartige Echse auf den Schoß gelegt. Aus ihrem Maul tropfte Schleim, die kalte Haut war nass, die Augen starrten, die Zunge spielte. Carlos war auf das Klavier gehüpft und betrachtete die Echse mit Abscheu.
Ich lebe in einer wahnsinnigen Welt, dachte Ana. Soll ich auf eine Echse hören, um herauszufinden, was ich mit meinem Leben anfangen soll?
Sie ließ die Echse auf den Boden gleiten. Langsam verschwand sie hinter dem Baum.
»Ich werde zuhören«, sagte sie. »Aber nicht jetzt. Lieber höre ich eure Stimmen, als dass ich einer Echse lausche.«
Sie stand wieder auf, unsicher, was sie noch sagen sollte. Sie war von enttäuschten und erstaunten Frauen umgeben. Das Geld hatte längst nicht die Bedeutung gehabt, die sie erwartet hatte. Felicias Worte, dass sie ihr folgen wollten, waren entscheidend.
Ich verstehe es nicht, dachte Ana. Ich werde es auch nie verstehen. Aber in dieser Stadt war ich immer nur von weißen Menschen umgeben, die behauptet haben, die Schwarzen seien unbegreiflich. Ich sehe nicht mehr, was ich sehe. Mein Auge ist von weißem Dunst verschleiert.
Sie verließ den Garten und kam an den leeren Sofas vorbei. Ein Mann befand sich im Raum und versuchte, eine halbgerauchte Zigarre anzuzünden. Seine Anwesenheit machte sie plötzlich rasend. Sie griff nach einem Kissen und schlug ihn ins Gesicht, so dass der Zigarrenstummel davonflog.
Sie sah den Mann an, ohne etwas zu sagen, rief Carlos und ging hinaus. Draußen auf der Straße schrie sie auf, als hätte sie sich für einen kurzen Moment in einen in Not geratenen Pfau verwandelt. Ein Straßenkehrer blieb stehen und sah sie an. Sie setzte sich ins Auto, aber auch der Chauffeur drückte weder Erstaunen noch Verwunderung aus, als er sah, wie sie gekleidet war. Der Straßenkehrer fuhr mit seiner Arbeit fort, als wäre nichts geschehen.
Als Julietta die Tür öffnete und sie anstarrte, konnte Ana nicht umhin, sie zu fragen, was ihr durch den Kopf gehe.
»Ich würde gern selbst diese Kleider tragen«, sagte Julietta.
»Dazu wird es nie kommen«, antwortete Ana.
Sie ging weiter hinauf in ihr Schlafzimmer. Die Tracht, die sie getragen hatte, warf sie in einen Wäschekorb. Die Maskerade war
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