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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hierherkommen und es so eilig haben, dass sie bald der Herzschlag trifft, weil sie die Jagd auf Reichtum und Macht nicht verkraften. Die Weißen lieben das Leben nicht. Sie lieben die Zeit, von der sie immer zu wenig haben.
    Vor allem sind es die Unwahrheiten, die uns töten, dachte Ana. Ich will keine zweite Ana Dolores werden, die davon überzeugt ist, dass schwarze Menschen bedingungslos zu gehorchen haben. Ich will nicht, dass auf meinem Grabstein steht, ich hätte nie den Wert der Schwarzen anerkannt.
    Sie setzte sich auf eine Steinbank. Das Meer glitzerte, und bei dem leichten Wind war die Wärme angenehm. Sie überlegte sich, was sie sagen würde, ehe sie aufstand und zum Auto zurückkehrte.
    Sie fuhr nach Hause und holte Carlos. Selbstverständlich würde er auf der Fotografie dabei sein.
    Als sie hinunter zum Bordell kam, ließ sie Carlos bei Judas, in dessen Gesellschaft der Affe sich sicher fühlte. Da Ana früh dran war, lag der Raum mit den roten Sofas verlassen da. Sie ging leise die Treppe hinauf in ihr altes Zimmer. In den großen Schränken gab es inzwischen ein Lager mit Kleidern und Kostümen, die verwendet werden konnten, wenn ein Kunde besondere Wünsche bezüglich der Ausstaffierung hatte oder wenn es aus irgendeinem Grund an Kleidern für eine der Frauen fehlte.
    Sie schloss die Tür, zog sich rasch aus und öffnete dann die Schränke. Mehrmals während der letzten Monate, wenn sie sich in diesem Zimmer aufgehalten hatte, war sie in Versuchung gewesen, sich in Seide zu kleiden und sich mit Diademen, Ringen und Armbändern aus den Regalen zu schmücken. Sie hatte es nie getan.
    Nicht bis zum heutigen Tag. Sie ließ die Hand über die lange Reihe von Seidenröcken, Kleidern und Trachten gleiten. Bei einer orientalischen Tracht in Grün und Rot, mit Einsätzen von Goldstickerei, hielt sie inne. Sie zog sich vor dem Spiegel an. Die Bluse war tief ausgeschnitten und konnte ganz geöffnet werden, wenn man ein Band unter der Brust löste. Dazu wählte sie ein rundes Diadem, das sie ins Haar steckte. Über den linken Arm streifte sie einen breiten Reif, der zu dem Diadem passte.
    Im Fach mit den Ringen fand sie auch Pinsel, Puder und Lippenstift. Sie schminkte sich Augen und Lippen, schlüpfte in ein Paar Seidenpantoffeln, und dann war sie fertig.
    Sie schaute in den Spiegel und dachte, die Verwandlung sei viel größer, als sie erwartet hatte. Jetzt war sie kaum noch Ana, sondern eine Frau orientalischen Ursprungs. Von Hanna Renström war nichts geblieben. Wer sie auch war, sie hatte sich in eine Frau verwandelt, die viele Kunden bekommen würde, wenn sie sich auf einem der roten Sofas niederließe und auf ein Angebot wartete.
    Sie setzte sich aufs Bett. Noch würde es dauern, bis die Frauen versammelt waren.
    Schließlich war die Zeit gekommen. Sie ging die Treppe hinunter und blieb an einer halb zur Seite genommenen Draperie stehen, die nachts vor der Öffnung zum Innenhof hing.
    Die Frauen saßen da und schwatzten wie üblich, als sie hinter der Draperie auftauchte. Es wurde sofort still. Ana konnte sehen, dass mehrere von ihnen sie zuerst nicht erkannten. Aber sie war es, die da stand, und das, was sie erwartet hatte, bewahrheitete sich. Keine der Frauen kommentierte ihre Verwandlung. Keine lachte oder lobte ihre schönen Kleider. Sie wagen es nicht, dachte Ana. Auch wenn ich ganz verändert bin, bleibe ich die weiße Frau, nichts sonst.
    Zé saß am Klavier und stimmte eine Saite tief unten im Bass. Die Wächter hatten ihre Aufgabe erfüllt, keine neuen Kunden einzulassen. Ein paar mürrische und halbbetrunkene Seeleute von einem norwegischen Walfänger schwankten zu einer Querstraße hinüber, wo ein anderes Etablissement lag.
    »Sind noch Kunden da?«, fragte sie Felicia.
    »Zwei, die schlafen. Sie wachen nicht auf.«
    »Du hast ihnen vielleicht etwas von deiner magischen Medizin gegeben?«
    Felicia lächelte, antwortete aber nicht.
    Picard war eingetroffen. Er hatte seine große Kamera aufgestellt, das schwarze Tuch darübergehängt und die Möbel zurechtgerückt, damit alle Platz fanden.
    Ana entschloss sich, mit dem Gruppenbild anzufangen. Vielleicht würde es eine Stimmung im Raum schaffen, die es ihr leichter machte, alles zu sagen, was nötig war.
    »Wir werden eine Fotografie machen«, sagte sie und klatschte in die Hände. »Alle sollen dabei sein, auch Zé und die Wächter. Und natürlich Carlos.«
    Sogleich brach eine übermütige Aufregung aus, als alle sich an die Plätze stellten,

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