Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
vorbei.
Noch am selben Abend kam Picard und überreichte Ana die kopierten Aufnahmen. Lange saß sie nach seinem kurzen Besuch an ihrer Petroleumlampe und betrachtete das Bild, das er gewählt hatte.
Alle sahen ernst direkt in die Kamera. Aber Carlos lachte, als wäre er ein Mensch.
Nur eine Frau auf dem Bild wirkte verängstigt.
Das war sie selbst.
74
Am nächsten Tag, nachdem sie mit der großen Echse auf dem Schoß im Hof gesessen hatte, fuhr Ana hinaus zu Pedro Pimentas Farm, zu ihrem letzten Besuch, wie sie beschlossen hatte. Unterwegs dachte sie, dort draußen sei es gewesen, bei den Zwingern mit den weißen Schäferhunden und den Teichanlagen mit den Krokodilen, wo ihre Reise ihr verhängnisvolles Ende genommen hatte. Bis hierher war sie gekommen, jetzt blieb nur noch der Weg hinaus. Als Isabel vom Betrug ihres Mannes erfahren hatte, war Ana ein größerer Verrat bewusst geworden, der dieses Land prägte. Hier schien es nichts anderes zu geben als Heuchelei und eine unerhörte Verachtung für die Menschen, die seit jeher in dem Land zu Hause waren. Es war, als hätten die Gäste sich satt gegessen, ohne auch nur zur Mahlzeit geladen worden zu sein. Wir sind die ungebetenen Gäste, dachte sie. Daran kann ich jedenfalls nicht länger zweifeln.
Sie hatte Carlos mitgenommen. Mit dem Gedanken an ihn war sie zu Pedros Farm zurückgekehrt. Dort würde Carlos in Freiheit leben können. Da gab es Bäume und freie Flächen, und er wäre umgeben von weißen und schwarzen Menschen, wie er es gewohnt war. Jenseits der Krokodilteiche lag auch die weitgestreckte Landschaft, aus der er gekommen war, die unendliche buschbewachsene Ödnis, in die er zurückkehren könnte, wenn er wollte.
Ana hatte verstanden, dass Carlos genauso weit von zu Hause entfernt war wie sie selbst. Vielleicht strömte ein Fluss mit kaltem braunem Wasser auch durch die Wälder, in denen er geboren worden war? Wenn uns sonst nichts verbindet, dann doch ein Heimweh, das wir mit aller Macht verleugnet haben. Ich auf meine Weise, er auf seine, ohne dass ich es je verstehen werde.
Als sie an der Farm angelangt waren, schauderte Ana bei der Erinnerung daran, was sich dort abgespielt hatte. Carlos kletterte aufs Autodach und sah sich neugierig um, als ahnte er, dass sich etwas Wichtiges anbahnte.
Ana Dolores trat auf die Treppe hinaus. Es war das erste Mal, dass Ana sie ohne die weiße Schwesterntracht und die steife Haube auf dem Kopf sah. Zugleich überraschte es sie. War Ana Dolores nicht hergekommen, um die kranke Teresa zu pflegen?
Die Wahrheit über die großen Veränderungen, die eingetreten waren, offenbarte sich sogleich. Ana Dolores grüßte sie gemessen, warf einen verwunderten Blick auf Carlos und lud Ana ein, sich auf die Veranda zu setzen und Tee zu trinken. Als ein Dienstmädchen das Tablett brachte, war klar, wer im Haus bestimmte. Ana Dolores war nicht nur eine gute Krankenschwester, sie war auch die eigentliche Herrscherin des Hauses. Die schwarze Frau fiel vor Ana Dolores auf die Knie, nachdem sie den Tee serviert hatte.
Wir tragen denselben Namen, dachte Ana. Sie ist Ana Dolores, und ich bin Ana Branca. Aber bald werde ich zu dem zurückkehren, was ich einmal war. Dann wird auch mein Name wieder Hanna sein. Aber vielleicht habe ich mich auch in anderer Weise verändert? Eine Veränderung, die ich nur erahnen kann? Ich weiß, dass das, was nach Isabels Tod mit mir geschehen ist, entscheidend für mein Leben sein wird. Auch wenn ich noch nicht weiß, in welcher Form.
Sie fragte Ana Dolores nach Teresa.
»Sie wird vermutlich nie wieder gesund«, sagte Ana Dolores. »Aber die Gefahr, dass sie sich in einen der Krokodilteiche wirft, ist nicht mehr so groß. Ihr krankes Hirn hat den restlichen Lebenswillen nicht vollständig besiegt.«
»Was sagt sie?«
»Nicht viel. Sie murmelt meistens etwas von Ereignissen aus der Zeit, als sie klein war. Von dem Leben, bevor Pedro Pimenta ihren Weg kreuzte.«
»Und ihre und Pedros Kinder? Was geschieht mit ihnen?«
»Sie befinden sich auf einem Schiff nach Portugal. Beide werden nicht hierher zurückkehren. Der Junge bekam eine Krokodilhaut mit auf den Weg, das Mädchen ein Stück Stoff von der Art, in die die Frauen sich hier hüllen. Ich kann nur hoffen, dass ihre bösen Erinnerungen an Afrika verblassen und schließlich ganz verschwinden werden.«
»Und du, Ana Dolores?«
»Ich wohne hier.«
»Um eine Frau zu pflegen, die nicht gesund werden wird?«
»Ich kümmere mich auch um
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