Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
die Picard ihnen zuwies. Die Frauen kicherten und gicksten, tauschten Kämme und kleine Spiegel aus, richteten einander die Kleider, die ohnehin nicht viel von ihren Körpern bedeckten. Schließlich hatten sich alle aufgestellt, mit Ana in der Mitte, auf einem Sessel sitzend. Carlos hockte auf einem Piedestal, wo gewöhnlich eine Topfpflanze stand.
»Ich möchte ein ernstes Bild«, sagte Ana. »Niemand soll lachen oder auch nur lächeln. Ernster Blick, direkt in die Kamera.«
Picard legte Hand an die letzten Details, rückte eine Frau näher, eine andere weiter weg. Dann bereitete er den Blitz vor, indem er Magnesiumpulver auf ein Metalltablett schüttete. Mit einem brennenden Streichholz verschwand er unter dem Tuch. Das Magnesium flammte auf, das Bild wurde aufgenommen.
»Zur Sicherheit noch eins«, rief er ihnen zu, als er wieder auftauchte.
Er bereitete einen neuen Blitz vor, verschwand hinter der Kamera und nahm das zweite Bild auf.
Als er den Raum verlassen hatte und zum Atelier zurückgeeilt war, um die Bilder zu entwickeln und das bessere auszuwählen, das er in vierzehn Exemplaren kopieren würde, versammelte Ana die Frauen unter dem Palisanderbaum um sich. Zé war zum Klavier zurückgekehrt, wo er die Tasten betrachtete, ehe er sie zu putzen begann. Carlos saß auf einem der roten Sofas, aß eine Apfelsine und schmatzte zufrieden.
Ana dachte, alles, was sie in diesem Augenblick umgab, gleiche einer gefälschten Idylle.
Ein trügerisches Paradies.
73
Als Ana zu reden anfangen wollte, hob Zé die Hände und spielte. Zum ersten Mal stimmte er nicht die Saiten. Es dauerte einen Augenblick, bis Ana verstand, was geschah. Verdutzt betrachtete sie Zés Hände und lauschte der Musik, die er darbot. Es war wie ein himmlischer Einschlag im Bordell. Nach all der Zeit, in der Zé sein Klavier gestimmt hatte, schien er jetzt zufrieden und konnte dem Instrument perfekte Harmonien entlocken. Alle lauschten schweigend. Anas Augen füllten sich mit Tränen. Zé wusste genau, wie die Finger über die Tasten laufen sollten, und seine Handgelenke bewegten sich anmutig unter dem zerfransten Hemd.
Als er fertig gespielt hatte, legte er die Hände in den Schoß und saß still da. Niemand sagte etwas, niemand applaudierte.
Ana ging schließlich zu ihm hin und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das war sehr schön«, sagte sie. »Ich wusste nicht, dass du spielen kannst.«
»Das Klavier ist alt«, sagte Zé. »Es ist schwer zu stimmen.«
»Wie lange hast du es gestimmt?«, fragte sie.
»Sechs Jahre lang. Und jetzt muss ich wieder von vorn anfangen.«
»Ich werde dir ein neues Klavier kaufen«, sagte Ana. »Ein gutes Klavier. Du wirst nicht mehr so lange stimmen müssen, um spielen zu können.«
Zé schüttelte den Kopf. »Dies ist das einzige Klavier, auf dem ich spielen kann«, sagte er still. »Ich habe keine Freude an einem neuen Instrument.«
Ana nickte. Sie glaubte, ihn zu verstehen. Auch wenn sie gerade etwas erlebt hatte, was vielleicht ein Wunder war.
»Was hast du gespielt?«, fragte sie.
»Ein Pole hat das komponiert, was ich gespielt habe. Er heißt Frédéric.«
»Es war schön«, wiederholte Ana. Dann wandte sie sich den Frauen zu und begann zu applaudieren. Zé stand unsicher auf und verbeugte sich, schlug den Deckel zu, schloss das Klavier ab, nahm seinen Hut und ging.
»Wohin geht er?«, fragte Ana.
»Das weiß niemand«, antwortete Felicia. »Aber er kommt zurück. Das letzte Mal hat er am Silvesterabend 1899 für uns gespielt. Als das Jahrhundert zu Ende ging.«
Ana sah all die Augen, die auf sie gerichtet waren. Sie sagte es so, wie es war: Sie würde sie verlassen. Der neue Besitzer Nunez habe versprochen, dass alles beim Alten bleiben werde, solange alle, die jetzt arbeiteten, noch da seien.
»Ich bin durch Zufall hierhergekommen«, endete sie. »Ich war krank, und ich glaubte in meiner Unschuld, dies sei ein Hotel. Hier wurde ich versorgt. Vielleicht wäre ich tot, wenn ich nicht die Pflege bekommen hätte, die ihr mir gegeben habt. Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, wieder aufzubrechen. Ich werde von hier nach Beira fahren, um nach Isabels Eltern zu suchen und ihnen zu sagen, dass Isabel tot ist. Was danach geschieht, weiß ich nicht. Aber hierher werde ich nicht zurückkehren.«
Dann nahm Ana Geldscheinbündel aus ihrer Handtasche. Jede Frau bekam eine Summe, die mehr als fünf Jahreseinkünften entsprach. Aber zu ihrem großen Erstaunen gab keine der Frauen ihrer Freude
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