Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
nicht.
»Eigentlich bin ich gekommen, weil ich ein Anliegen habe«, sagte Ana.
Sie zeigte auf Carlos, der in dem verlassenen Taubenschlag saß und sich zerstreut das Fell kratzte. Auch er hatte nicht auf Teresas Ausbruch reagiert, was Ana erstaunte. Carlos versuchte stets, sie zu schützen, indem er schrie und tobte. Aber diesmal nicht.
»Ich werde die Stadt verlassen«, fuhr sie fort. »Und ich kann ihn nicht mitnehmen. Ich wollte fragen, ob er hierbleiben darf. Wenn er nur genug zu essen bekommt und die Erlaubnis hat, zu tun, was er selbst will, ist er friedlich und meist ganz ruhig. Eines Tages wird Carlos sich vielleicht entschließen, in die Wälder zurückzukehren. Hier hätte er die Freiheit dazu.«
»Du meinst also, er soll die Freiheit haben, zu gehen und zu sitzen, wo er will. Genau wie jetzt?«
»Du kannst Carlos bestimmte Regeln geben. Er lernt schnell.«
»Du willst also nicht, dass ich einen Käfig für ihn baue?«
»Das am allerwenigsten. Und ihm auch keine Kette um den Hals legen. Natürlich bin ich bereit, dich für deine Dienste gut zu bezahlen.«
Ana Dolores sah sie an. Lächelnd. »Als du in die Stadt kamst, warst du ein jämmerlicher Anblick«, sagte sie. »Aber es ist dir gut ergangen.«
»Ich kann jedenfalls dafür bezahlen, dass Carlos das Leben so führen darf, wie es ihm gefällt, wenn ich nicht mehr hier bin.«
Ana Dolores stand auf. »Lass mich nachdenken«, sagte sie. »Wenn ich die Verantwortung für einen Affen übernehme, muss ich sicher sein, dass ich es wirklich kann.«
Sie stellte sich unter den Taubenschlag und schaute zu Carlos hinauf, der immer noch seine Haut nach Zecken absuchte. Ana betrachte sie von ihrem Platz auf der Veranda aus. Ana Dolores verließ den Taubenschlag und ging weiter zu der Reihe mit den Zwingern, wo die abgerichteten Schäferhunde eifrig an den Gittern hochsprangen. Sie blieb vor einem der Zwinger stehen und schien den Hund durch das Gitter zu streicheln. Dann kehrte sie zur Veranda zurück.
»Ruf den Affen«, sagte sie. »Bring ihn jedenfalls dazu, vom Taubenschlag herunterzuklettern, damit ich ihn begrüßen kann.«
»Carlos darf also hierbleiben?«
»Wenn er nicht bissig ist.«
Ana rief Carlos, der langsam vom Taubenschlag herunterkletterte. Später sollte Ana denken, es habe ausgesehen, als zögerte er.
75
Was dann eintraf, geschah so schnell, dass Ana hinterher nicht sicher war, in welcher Reihenfolge sich alles abspielte. Der Schäferhund, den Ana Dolores gerade gestreichelt hatte, sprengte das Gitter des Zwingers und stürmte auf Carlos zu, der auf dem Boden angekommen war. Ana rief ihm zu, um ihn zu warnen. Aber es war zu spät. Der rasende Hund schlug die Zähne in Carlos’ Kehle, ehe der Affe die Gefahr bemerkt hatte und fliehen konnte. Ana lief die Treppe hinunter und begann, den Hund mit einem Kehrbesen zu schlagen, der am Geländer der Veranda gelehnt hatte. Doch der Hund lockerte seine Kiefer nicht. Ana schrie und schlug. Ana Dolores rührte sich nicht. Erst als alles vorbei war, half sie mit, den Hund loszureißen und zurück in seinen Zwinger zu bringen.
Carlos lag regungslos auf dem Boden. Sein Kopf war fast vom Körper abgerissen. Die Augen standen offen. Carlos fuhr fort, Ana anzusehen, obwohl er tot war.
Ana Dolores kam zurück, nachdem sie den rasenden Schäferhund eingesperrt hatte.
»Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte«, sagte sie.
Als Ana diese Worte hörte, wurde ihr schlagartig bewusst, was geschehen war. Sie weigerte sich zunächst zu glauben, was sie dachte. Aber es gab keine andere Erklärung.
Es war kein Unfall gewesen.
Ana stand auf und schüttelte langsam den Staub von ihrem Kleid. »Ich weiß nicht, wie du es gemacht hast«, sagte sie. »Dass du das Gitter geöffnet hast, ist mir klar. Wie du dann dem Hund das Kommando zum Angriff geben konntest, ist mir unverständlich. Vielleicht ist der Hund darauf trainiert, nicht nur auf Stimmen zu reagieren, sondern auch auf einen erhobenen Arm oder eine kräftige Kopfbewegung.«
Ana Dolores machte einen Ansatz, sie zu unterbrechen.
»Lass mich zu Ende reden!«, schrie Ana. »Wenn du mich unterbrichst, schlage ich dich tot. Du hast dem Hund ein Zeichen gegeben, Carlos anzufallen. Du wolltest, dass der Affe stirbt. Aber warum? Vielleicht bist du so voller Hass auf alle Menschen, die nicht auf die Schwarzen herabsehen? Vielleicht verabscheust du sogar den Affen, der mein Freund geworden ist? Musste er deshalb sterben? Ich bin noch nie einem
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