Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Dienstboten um sich, um Abschied zu nehmen. Da Andrade in das Haus einziehen würde, das er ihr abgekauft hatte, musste niemand von ihnen um die Zukunft bangen.
Sie hatte für jede Dienstbotin ein Kuvert vorbereitet, so dass keine wusste, welche Summe die anderen bekamen. Sie war sicher, dass zumindest Julietta versuchen würde herauszufinden, wie sie im Vergleich zu Anaka bewertet worden war.
Ana rief sie alle in ihrem Arbeitszimmer zusammen. Sie erinnerte sich, dass Jonathan Forsman es so gemacht hatte, wenn er mit seinen Dienstboten sprach. Sie sagte, wie es war, dass sie abreisen würde, zunächst nach Beira und danach zu einem unbekannten Ziel. Sie bedankte sich für ihre Arbeit und wünschte ihnen allen viel Glück bei ihrem neuen Hausherrn Andrade.
Ihre Worte stießen wie üblich auf absolutes Schweigen. Niemand dankte ihr, niemand sagte etwas. Ana ließ sie sofort zu ihren Pflichten zurückkehren. Aber sie behielt Julietta da.
»Du wirst es bei Andrade gut haben«, sagte sie. »Wenn du dich nur gut benimmst.«
»Ich benehme mich immer gut«, sagte Julietta.
»Jetzt bitte ich dich, etwas für mich zu erledigen«, sagte sie. »Bevor es dunkel wird, gehst du zu Felicia und den anderen Frauen hinunter und gibst diesen Umschlag ab. Er enthält Fotografien.«
Julietta nahm das Kuvert und ging. Ana hörte, wie die Haustür zuschlug.
Als sie wieder allein war, machte sie eine Notiz in ihr Tagebuch: »Ich kann nicht in einer Welt leben, in der alle mehr wissen als ich.« Dann legte sie das Tagebuch in eine der Taschen, noch immer unsicher, warum sie es eigentlich behielt.
Tags darauf, als Ana sehr früh aufstand, um sich für die Fahrt zum Hafen zurechtzumachen, war Julietta noch nicht zurückgekommen.
Sofort machte sie sich Sorgen. Was konnte geschehen sein? Sie rief Anaka und fragte sie. Anaka antwortete nicht, zeigte aber keine Besorgnis.
Da verstand Ana. Julietta war im Bordell geblieben. War zu Nunez gegangen, der das Etablissement übernommen hatte, und hatte ihm gesagt, dass sie dort anfangen wollte zu arbeiten. Und er hatte sie selbstverständlich angestellt. All das Gerede von einem Kinderheim war ohne Bedeutung gewesen. Vielleicht hatte er sie auch mit in eins der Zimmer genommen, um auszuprobieren, wie tüchtig sie darin war, einen Mann zu befriedigen?
Ana empfand eine stumme Verzweiflung, als sie begriff, dass dies die Erklärung dafür war, dass Julietta nicht zurückkam.
Aber sie verscheuchte die Gedanken. Sie wollte dieses Haus nicht mit einer Last von Trauer und Enttäuschung verlassen. Zum ersten Mal sprach sie mit Anaka, die ihr zur Haustür folgte.
»Jetzt reise ich ab«, sagte sie. »Es wird ein warmer Tag. Aber auf dem Meer wird es Kühlung geben.«
Sie dachte, sie sollte noch etwas sagen. Aber was?
Die Worte waren ihr ausgegangen. Sie strich rasch mit der Hand über Anakas Wange und verließ sie zum letzten Mal.
78
Als Ana auf die Straße hinaustrat, stand nicht nur das Auto da und wartete. Auch Moses war zurückgekehrt. Er war also nicht zu den Minen von Rand aufgebrochen, er hatte sich die ganze Zeit in der Stadt aufgehalten. Vielleicht hat er mich bewacht, ohne dass ich ihn sehen konnte, dachte Ana. Genau wie der Leopard, der immer sieht, aber nie gesehen wird.
Moses trug seinen üblichen Overall und abgetragene Sandalen. Seine Hände, die an den Seiten herabhingen, wirkten plötzlich ganz hilflos.
»Du hier«, sagte sie.
»Ja«, antwortete Moses. »Ich wollte Abschied nehmen.«
»Woher hast du gewusst, dass ich heute abreise?«
Sie dachte sofort, dass sie auf diese Frage nie eine Antwort bekommen würde. Was sollte er denn sagen? Dass er ihre Abreise wie ein Muster in den Steinen des Gehsteigs entdeckt habe? Aber er stand da, genau jetzt, als sie zum letzten Mal in das Auto steigen wollte, das Vanji später am Tag zurückgeben würde.
Moses sah sie an und lächelte. Aber er antwortete nicht.
Es ist nicht wichtig, dachte Ana. Sie war nur froh, dass er zurückgekommen war.
Plötzlich spürte sie, dass sie nicht abreisen wollte. Sie wollte in seiner Nähe bleiben, so lange wie möglich. Aber sie hatte kein Haus mehr. Sie hatte alle Schlüssel abgegeben. Ihr blieb nur eine Kajüte an Bord des Küstendampfers, der sie nach Beira bringen sollte.
Was sie empfand, erfüllte sie mit Angst und zugleich mit großer Freude. Sie liebte diesen Mann, der vor ihr stand. Aber eine Liebe zwischen ihnen war unmöglich, sie widersprach allen denkbaren Voraussetzungen, die in dieser
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