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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Moment an, als sie die Gangway hinunterging, bis jetzt, wo sie vor all diesen Kinderknochen saß.
    Sie stand auf. »Das war alles«, sagte sie. »Jetzt werde ich meinen Affen zur Ruhe betten und den Boden wieder so zuschütten, wie er war. Ich verstehe, dass es ein Friedhof ist. Mitten im Bordell gibt es einen in Heimlichkeit angelegten Begräbnisplatz.«
    »Auch er erzählt eine Wahrheit«, sagte Felicia.
    »Ja«, sagte Ana. »Der Friedhof erzählt auch eine Wahrheit. Eine, die wir am liebsten nicht hören wollen.«
    Felicia ging ins Haus. Aber Ana spürte plötzlich, dass sie Carlos nicht dort begraben konnte, nicht zwischen all diesen unseligen Föten und toten Kindern. Sie steckte Carlos zurück in den Sack und schaufelte dann den Boden wieder zu, bis keine Knochen mehr zu sehen waren. Sie holte den Chauffeur, der den Sack hinaus zum Auto trug. Er stellte keine Fragen. Er ist ein alter Mann, der alles gesehen und alles gehört hat, dachte Ana. Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen all den Verrücktheiten, die andere weiße Menschen treiben, und der, dass ich mit einem toten Affen in einem Sack hin und her fahre?
    Sie bat ihn, zu dem Teil des Hafens hinunterzufahren, wo die kleinen Fischerboote anlegten. Dort gab es hohe Holzgestelle, an denen die Fischer ihre Netze aufhängten. Hier wurden auch die Körbe gefüllt, in denen der Fang zu den Marktständen hinaufgetragen wurde.
    Ana stieg aus dem Auto. Die meisten Fischerboote befanden sich schon draußen auf dem Meer und würden später am Tag mit ihrem Fang zurückkehren. Aber an einem der Landungsstege lagen noch einige Boote, die Segel aufgerollt.
    Sie bat den Chauffeur, ihr zu folgen. »Ich muss ein Boot mieten«, sagte sie. »Ich will meinen Affen aufs Meer hinausbringen und ihn dort bestatten.«
    »Ich werde fragen«, sagte der Chauffeur.
    »Der Fischer, der mir sein Boot leiht, wird natürlich gut bezahlt.«
    Zwei von den Fischern schüttelten den Kopf, als der Chauffeur seine Frage stellte. Aber ein dritter, ein älterer Mann, etwa im gleichen Alter wie der Chauffeur, erklärte sich bereit. Als Ana verstand, dass es einen Fischer gab, der mit ihr hinaussegeln würde, betrat sie den Landungssteg.
    »Ich habe versichert, dass die Senhora nicht verrückt ist«, sagte der Chauffeur. »Er ist bereit, aufs Meer hinauszufahren, wenn es jetzt geschieht.«
    »Dafür soll er gut bezahlt werden«, sagte Ana. »Ich brauche auch ein paar schwere Senker, um sie in den Sack zu legen, so dass er wirklich sinkt.«
    Der Chauffeur übersetzte, bekam eine Antwort und nickte.
    »Er hat einen alten Anker, den er als Senker opfern kann. Dafür will er natürlich auch bezahlt werden. Er hofft, dass die Senhora nicht fürchtet, ihr Kleid zu beschmutzen. Aber er hat noch eine andere Frage.«
    »Was will er wissen?«
    »Kann die Senhora schwimmen?«
    Ana dachte an ihren Vater und seine hartnäckige Weigerung, sie im Fluss schwimmen lernen zu lassen. Sollte sie jetzt lügen oder sagen, wie es war? Sie spürte, dass sie keine weiteren Unwahrheiten ertrug.
    »Nein«, sagte sie. »Ich kann nicht schwimmen.«
    »Das ist gut«, sagte der Chauffeur. »Er will keine Menschen im Boot haben, die schwimmen können. Sie erweisen dem Meer nicht den nötigen Respekt.«
    Sie holten den Sack mit Carlos. Ana fand, er werde mit jedem Mal schwerer.
    »Ich habe deinen Namen vergessen«, sagte Ana. »Ich schäme mich dafür.«
    »Warum soll man sich für das schämen, was man vergisst? Soll man sich dann auch für das schämen, woran man sich erinnert? Ich heiße Vanji.«
    »Bitte warte hier, bis wir zurückkommen. Dann brauche ich dich und das Auto nur noch wenige Tage.«
    Vanji war sofort niedergeschlagen, als er verstand, dass ihre Zeit zusammen dem Ende zuging. Ana gelang es nicht, ihn zu trösten.
    »Wie heißt der Fischer mit dem Boot?«, fragte sie.
    »Columbus«, sagte der Chauffeur. »Er fährt nie an Dienstagen hinaus. Er ist davon überzeugt, dass er dann keinen Fang machen würde. Die Senhora hat Glück, dass heute Dienstag ist. Kaum jemand anders als Columbus würde mit einem toten Affen im Boot und außerdem mit einer weißen Frau als Passagierin hinaussegeln.«

77
     
    Ana setzte sich in dem kleinen Boot dicht an den Mast. Der Sack und der rostige alte Anker lagen zu ihren Füßen. Das Boot roch stark nach Fisch. Columbus hisste mit seinen sehnigen Armen das Segel und setzte sich ans Ruder. Als sie aus der Hafeneinmündung herauskamen, blähte sich das Segel. Ana zeigte aufs Meer,

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