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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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sagte er.
    Nach ein paar Tagen löste sich der Nebel auf. Sie nahmen wieder Fahrt auf. Hanna hörte von etwas, das Golf von Biskaya hieß und das sie bald passieren würden.
    Lundmark begann eines Abends, von seinen Eltern zu erzählen. Er war das einzige Kind eines Kaufmanns in Timrå, der in Zahlungsschwierigkeiten geraten war und die Armut und die Not kaum von den Wänden des Hauses hatte fernhalten können. Seine Mutter war eine schweigsame Frau, die sich nie mit der Tatsache abgefunden hatte, dass sie nur ein einziges Kind zur Welt gebracht hatte. Das war für sie eine Enttäuschung, aber fast auch eine Schande.
    Er selbst hatte sich immer nach dem Meer gesehnt. War ständig an den Stränden entlanggelaufen, um die Schiffe am Horizont zu beobachten. Als Dreizehnjähriger hatte er sich als Jungmann auf einem Segelfrachtschiff verdingt, das in Linienfahrt zwischen Sundsvall und Söderhamn verkehrte. Sein Vater und seine Mutter hatten es ihm auszureden versucht. Sie hatten sogar damit gedroht, ihm den Landpolizeikommissar nachzuschicken, wenn er sich davonmachte. Aber als er es dann doch tat, war es, als hätten sie resigniert, und sie ließen ihn dem Weg folgen, für den er sich entschieden hatte.
    Ehe Hanna an diesem Abend einschlief, dachte sie an das, was der Steuermann erzählt hatte. Es war etwas Vertrauliches, wie es bisher nur Berta mitzuteilen bereit gewesen war.
    Am folgenden Tag fuhr er fort zu erzählen. Aber er fragte auch nach dem Leben, das sie geführt hatte, ehe sie in Forsmans Haus und dann zur Lovisa gekommen war. Sie meinte, sie habe nichts zu sagen. Aber er hörte sich an, was sie trotzdem erzählte, und schien aufrichtig interessiert.
    So setzten sie ihre Gespräche fort, Abend für Abend, wenn der Sturm nicht zu stark war und Kapitän Svartman Lundmark nicht beauftragte, Aufgaben außerhalb des üblichen Arbeitsablaufs zu übernehmen.
    Hanna merkte, dass sie etwas für Lundmark empfand, was sie noch nicht kannte. Es war nicht mit dem zu vergleichen, was sie mit Elin und den Geschwistern verbunden hatte. Auch nicht mit der Nähe, die sie mit Berta geteilt hatte. Das, was sie jetzt fühlte, ging tiefer. Jeder Augenblick, der in der Erwartung verging, dass er hinter der Kombüse auftauchte, wurde zu einer immer stärkeren Sehnsucht.
    Eines Abends gab er ihr eine kleine Holzskulptur, die eine Seejungfrau darstellte. Er hatte sie auf einer früheren Reise in einer italienischen Hafenstadt gekauft und sie auf alle Schiffe mitgenommen, auf denen er angeheuert hatte.
    »Ich kann sie nicht annehmen«, sagte sie.
    »Ich will, dass sie dir gehört«, sagte Lundmark. »Genau jetzt möchte ich das unbedingt.«
    Sie blickten verlegen in die Dunkelheit. Schließlich wünschte Hanna ihm gute Nacht und ging in ihre Kajüte. Als sie später die Tür einen Spalt weit aufmachte, sah sie ihn noch immer an der Reling stehen. Breitbeinig, die Uniformmütze in der Hand.
    Am nächsten Morgen schuppte sie den frisch gefangenen Fisch, den die Besatzung zum Abendessen bekommen sollte, als ein Schatten über sie fiel. Als sie aufsah, war es Lundmark. Er kniete sich hin, nahm ihre Hand, die voll glänzender Schuppen war, und fragte, ob sie ihn heiraten wolle.
    Bis zu diesem Augenblick hatten sie nichts anderes getan, als miteinander zu sprechen. Aber alle an Bord hatten es so aufgefasst, dass sie ein Paar waren, das hatte sie verstanden, da keiner von all den anderen Männern sich ihr genähert hatte.
    Hatte sie darauf gewartet? Hatte sie es erhofft? Für einen kurzen Moment war ihr wohl der Gedanke gekommen, dass er es war, mit dem sie reiste, nicht das Schiff mit seiner Ladung von Brettern.
    Sie sagte sofort ja. Ihr Entschluss war in einem Augenblick gefasst. Er hockte vor ihr, küsste ihr Gesicht und stand dann auf, um zur Besprechung der Steuermänner mit dem Kapitän zu gehen.
    In Alger legten sie am Kai an, um zu bunkern. Der schwedische Konsul, ein Franzose, der in seiner Jugend Stockholm besucht und sich in die Stadt verliebt hatte, trieb einen englischen Methodistenpfarrer auf, der bereit war, sie zu trauen. Kapitän Svartman stellte die notwendigen Dokumente aus und war selbst Trauzeuge, zusammen mit dem Konsul und seiner Frau, die während der Zeremonie vor Rührung weinte. Danach nahm sie der Kapitän mit zu einem Fotografen und bezahlte das Hochzeitsbild aus eigener Tasche.
    Am gleichen Abend zog sie in Lundmarks Kabine. Der zweite Steuermann, Björnsson, siedelte in die enge Krankenkabine des Schiffs um.

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