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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Steuerbordseite des Schiffs, die jetzt zum Land hin lag, der afrikanischen Küste, drüben im Sonnendunst. Nicht einmal mit dem Fernglas hätte sie Einzelheiten wahrnehmen können.
    Auf der Brücke hatte ein Ausguck Dienst, einer der jüngeren Matrosen. Alle übrigen hatten sich an dem Sarg aus Segeltuch versammelt, der auf zwei Böcken an der Reling stand. Das graue Tuch war in eine schwedische Flagge gehüllt. Sie war fleckig und zerfranst. Hanna dachte, dass es wohl die einzige Flagge an Bord war. Kapitän Svartman war kein Mann, der im voraus einplante, dass seine Besatzungsleute sterben könnten. Aber denjenigen, die sich unvorsichtig benahmen oder gegen seine Regeln verstießen, konnte es übel ergehen. Wie dem Steuermann, der jetzt da auf den Böcken lag und bald im Meer versenkt werden sollte.
    Hanna sah die Männer an, die in einem Halbkreis versammelt waren. Keiner von ihnen vermochte ihrem Blick zu begegnen. Der Tod machte sie verlegen und unsicher.
    Sie sah zum Himmel und zur Sonne hinauf, die brannte, obwohl es noch früh am Morgen war. In Gedanken meinte sie plötzlich wieder in dem Schlitten zu sitzen, hinter Forsmans breitem Rücken.
    Damals die Kälte, dachte sie. Jetzt die Hitze. Was ist schlimmer?
    Auch die Bewegung: Damals ein Schlitten, jetzt ein Schiff, das sich kaum merklich auf der Dünung hob und senkte.
    Kapitän Svartman trug seine Uniform und hatte das Buch mit den Anweisungen für eine Seebestattungszeremonie in der Hand. Er las mit eintöniger, aber kräftiger Stimme. Es gab bei ihm keinen Zweifel angesichts seiner Aufgabe als Kapitän.
    Hanna dachte, Svartman sei wohl vor allem zornig darüber, dass jemand gegen seine Ermahnungen verstoßen hatte und an Land gegangen war, obwohl er hätte wissen müssen, welcher Gefahr er sich aussetzte.
    Der Mann, der jetzt bestattet werden sollte, hätte nicht sterben müssen. Er war unvernünftig gewesen und hatte nicht darauf gehört, was Kapitän Svartman ihm gesagt hatte.
    Hanna ahnte, dass Kapitän Svartman nicht nur um seinen Steuermann trauerte. Er fühlte sich auch verraten.

19
     
    Die Zeremonie war kurz. Kapitän Svartman schweifte nicht ab, sagte nichts Persönliches. Er verstummte, als er laut der Instruktion fertig gesprochen hatte, und nickte seinem zweiten Steuermann zu, der eine gute Singstimme hatte und einen Choral anstimmte. Eigenartigerweise hatte er einen Weihnachtschoral gewählt.
    Glänz über Meer und Strand, Stern in der Ferne.
    Die Männer fielen ein, unsicher, hier und da ein krächzender Ton. Hanna betrachtete sie verstohlen. Einige blieben auch stumm.
    Wer von ihnen dachte an den Mann, der tot war? Einige taten es gewiss. Andere, vielleicht die meisten, verspürten Dankbarkeit dafür, dass sie selbst noch am Leben waren.
    Als der Choral zu Ende war, nickte Kapitän Svartman ihr zu, vorzutreten. Er hatte ihr erklärt, dass es kaum Regeln oder Traditionen gab, wie eine Witwe in einer Besatzung bei einer Seebestattung den letzten Abschied von ihrem Mann nehmen sollte.
    »Leg die Hand auf das Segeltuch«, hatte er vorgeschlagen. »Da es hier an Bord keine Blumen gibt, muss die Hand das Zeichen für den letzten Abschied sein.«
    Er hätte eine seiner Topfpflanzen opfern können, dachte sie. Eine von den Blumen abpflücken und sie mir geben. Aber das hatte er nicht gewollt.
    Sie tat, was er ihr gesagt hatte, legte ihre Hand auf die Flagge. Versuchte, Lundmark vor sich zu sehen. Aber obwohl er erst seit so kurzer Zeit tot war, fiel es ihr bereits schwer, sein Gesicht heraufzubeschwören.
    Der Tod ist wie ein Nebel, dachte sie, der sacht denjenigen einhüllt, der uns verlässt.
    Sie trat einen Schritt zurück, Kapitän Svartman nickte aufs neue, vier Matrosen kamen nach vorn, hoben das Brett und kippten den Toten über Bord. Kapitän Svartman hatte seine stärksten Matrosen ausgewählt, da das Segeltuch nicht nur einen toten Körper barg, sondern auch viele Kilo Senker, die dafür sorgen sollten, dass der Sarg aus Segeltuch wirklich zum Meeresboden sank.
    1935 Meter. Ihr Mann bekam ein unendlich viel tieferes Grab, als man es je an Land schaufeln könnte. Fast dreißig Minuten würden vergehen, ehe der tote Körper den Boden erreichte. Halvorsen hatte ihr erzählt, dass Gegenstände in großen Tiefen sehr langsam sanken.
    Die Seebestattung war vorüber, die Besatzung kehrte zu ihren Aufgaben zurück. Nur wenige Minuten darauf bebte es im Maschinenraum. Das Schiff bewegte sich, der Aufenthalt war beendet.
    Hanna stand an der

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