Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Reling. Nichts war mehr im Wasser zu sehen. Sie drehte sich um und ging direkt zur Kombüse, wo der Schiffsjunge angefangen hatte, das Mittagessen vorzubereiten. Sie band ihre Schürze um. Da bemerkte sie, dass ein Jungmann abkommandiert worden war, um in der Küche zu helfen.
»Auch wenn mein Mann tot ist, tue ich meine Pflicht«, sagte sie.
Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern stieg das Fallreep hinunter zur Vorratskammer, um Kartoffeln für die Mahlzeiten zu holen, die noch an diesem Tag serviert werden sollten.
Die Kartoffeln waren geschält. Sie kippte die Schalen über Bord und ging zurück in die Kombüse. Halvorsen war dabei, einen Schrank mit Regalen für Töpfe und Bratpfannen zu reparieren. Der beste Freund ihres Mannes an Bord. Auch er ist einsam geworden, dachte sie. Auch er fragt sich, warum der Steuermann bei dieser unglückseligen Gelegenheit an Land gehen musste.
Zusammen mit dem Schiffsjungen und dem Jungmann setzte sie ihre Arbeit fort. Doch als Halvorsen seine Reparatur beendet hatte, berührte er sie leicht an der Schulter und gab ihr ein Zeichen, mit ihm nach draußen zu kommen. Sie bat den Schiffsjungen, ein Auge auf ihre Töpfe zu haben, und folgte ihm.
Er schaute auf die Planken, als er mit ihr sprach, und sah ihr nicht in die Augen. »Was wirst du jetzt tun?«, fragte er.
Diese Frage hatte sie noch nicht einmal sich selbst zu stellen gewagt. Was konnte sie tun? Was für eine Wahl hatte sie denn? Sie sagte, wie es war. Sie wisse es nicht.
»Ich werde dir helfen«, sagte er. »Nur dass du es weißt. Wenn ich kann.«
Halvorsen erwartete keine Antwort. Er drehte sich um und verschwand. Sie dachte über das nach, was er gesagt hatte, und kam zu dem Schluss, dass ihr Mann ihn verzweifelt darum gebeten haben musste, als er erkannte, wie krank er war.
Es war Lundmark, der mit Halvorsens Stimme sprach. Eine Stimme aus der Tiefe. Eine Stimme, die sich darauf verstand, andere zu imitieren.
20
Sie liefen den Hafen der afrikanischen Stadt Lourenço Marques an. Die Stadt war klein und dünn besiedelt, erinnerte ein wenig an Alger, mit ihren weißen Fassaden und Häusern, die an einem Hang hochkletterten. Auf der Kuppe eines Hügels lag ein weißes Hotel. Der Name der Stadt war unmöglich auszusprechen. Deshalb nannte die Besatzung sie Loco , was auf Portugiesisch »verrückt« hieß, wie Hanna es aus ihrem Lexikon in Erinnerung hatte.
Halvorsen war früher schon dort gewesen. Er ermahnte Hanna, nicht bei offenem Bullauge zu schlafen, weil es Mücken gebe, die Träger der gefürchteten Malaria seien. Sie sollte auch stets ihre Arme und Beine bedecken, selbst wenn die Abende warm waren.
Er bot ihr an, sie mit an Land zu nehmen. Sie könnten durch die Stadt spazieren, vielleicht in einem der unzähligen kleinen Restaurants gegrillten Fisch, frittierte Krabben oder Hummer essen, die nirgendwo auf der Welt ihresgleichen hätten.
Aber sie dankte und lehnte ab. Noch war sie nicht bereit, in Gesellschaft eines anderen Mannes zu sein, auch wenn Halvorsen nur ihr Bestes wollte. Sie blieb an Bord und dachte, dass sie in zwei Tagen den Kurs direkt nach Osten über das große Meer nehmen würden, das den afrikanischen Kontinent von Australien trennte.
In einer Nacht, in der sie flüsternd in der engen Koje lagen, hatte Lundmark ihr erzählt, es sei vorgekommen, dass Schiffe auf dem Weg nach Australien auf Eisberge getroffen seien, groß wie mit Marmor verzierte Paläste. Das hatte Kapitän Svartman berichtet, und der Kapitän sagte nie etwas, was nicht der Wahrheit entsprach.
Sie stand an der Reling und sah die zerlumpten afrikanischen Träger unter Kapitän Svartmans Aufsicht Proviant an Bord schleppen. Ein weißer Mann, bärtig und braungebrannt, in einem verschwitzten Khakianzug, trieb die Träger an. Seine Handbewegungen waren so, als würde er eine unsichtbare Peitsche schwingen. Die Männer waren mager, ängstlich. Hin und wieder begegnete sie ihren unruhigen Blicken.
Mitunter sah sie auch etwas wie Wut in ihren Augen, vielleicht sogar Hass. Sie konnte es nicht genau deuten.
Die Stimme des weißen Mannes war schrill, als verabscheute er das, was er tat, oder wollte nur schnell fertig werden.
Wenn die Gangway verlassen dalag, dachte sie, sie würde trotz allem gern am Kai an Land gehen, noch einmal ihre Füße auf den afrikanischen Kontinent setzen.
Aber es kam nie so weit. Die Reling blieb weiterhin ihre Grenze.
In der ersten Nacht lag sie in der Wärme wach. Halvorsen hatte gesagt,
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