Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Hanna würde ihren eigenen Raum behalten, den wollte ihr Kapitän Svartman nicht nehmen. Aber sollte jemand ernstlich krank werden, würde er mit Beschlag belegt.
Kapitän Svartman betrachtete ihre Ehe mit Wohlwollen. Aber da sie Alger spät am selben Abend verließen, wurde ihre Hochzeitsnacht zerrissen. Es wurden Schiffswächter eingesetzt, und Lundmark musste seine Schicht antreten. Für Kapitän Svartman wäre es nie in Frage gekommen, ihm in dieser Nacht freizugeben. So weit reichte sein Wohlwollen nicht. Lundmark hätte sich auch nie vorstellen können, darum zu bitten.
So war Hanna eine Ehefrau. Frau Lundmark. Beide waren schüchtern und unsicher. Der hochgewachsene Steuermann verwandelte sich in ein Kind, ängstlich darauf bedacht, nicht zu schaden oder zu verletzen. Sie näherten sich einander vorsichtig, da sie sich noch kaum kannten. Die Liebe war leise, noch keine offene Leidenschaft.
Als sie durch den Suezkanal fuhren, hatten sie eine der wenigen gemeinsamen Freiwachen. Sie standen nebeneinander und betrachteten die Ufer, die hohen Palmen, die Kamele, die langsam dahinschaukelten, die nackten Kinder, die in das Wasser des Kanals tauchten.
Hanna gewöhnte sich nur schwer daran, mit ihm an ihrer Seite zu schlafen. Die Geschwister oder Berta um sich zu haben, das war eine Sache. Jetzt lag da ein großer, schwerer Mann, der sich oft bewegte und sie dadurch weckte.
Sie empfand sowohl Geborgenheit wie Unruhe darüber, dort zu sein, wo sie war, mit ihm, aber gleichzeitig war da eine heftige Sehnsucht zurück zu dem Leben, das sie im fernen Flusstal geführt hatte.
In den Nächten, nach der Liebe, sprachen sie in der Dunkelheit miteinander, immer leise, da die Trennwände dünn waren.
Jetzt bekannte er ihr in der Dunkelheit und Wärme, dass er eines Tages versuchen wollte, Kapitän auf seinem eigenen Schiff zu werden.
»Ich werde das erreichen, wenn du mir hilfst«, sagte er. »Jetzt, wo es dich gibt, glaube ich, dass alles möglich ist.«
Sie nahm seine Hand. Dachte darüber nach, was er gesagt hatte. Und verspürte plötzlich Lust und Sehnsucht, Elin von all dem zu erzählen, was jetzt in ihrem Leben geschah.
Damals, als Elin sagte, Hanna müsse zur Küste fahren, hatte sie recht gehabt. Aber was würde sie über die Reise denken, auf der Hanna sich jetzt befand?
Ich muss schreiben, dachte Hanna. Eines Tages wird Elin ein Brief erreichen. Ich werde unser Hochzeitsbild beilegen. Sie muss den Mann sehen, den ich geheiratet habe.
18
Sie wurde von einer Frage aus ihren Erinnerungen gerissen, die wie eine Brücke zwischen dem Vergangenen und dem Jetzt stand: Wusste sie denn, wer sie heute war? Zwei Monate waren vergangen, seit sie Sundsvall verlassen hatte, Lundmarks Frau geworden war und nun auf seine Bestattung wartete.
Sie hatte keine Antwort darauf, wer sie war oder wer sie geworden war.
Das Schiff lag regungslos in der dampfenden Hitze. Der Druck in den Kesseln wurde niedrig gehalten, in Erwartung der Seebestattung. Danach würde wieder volle Fahrt voraus angeordnet werden, und die Heizer würden erneut Kohlen in die Feuerbuchsen schaufeln.
Aber jetzt hatten sich die verrußten Männer aus dem Maschinenraum an Deck begeben und den schlimmsten Schmutz abgewaschen. Nur ein Mann war da unten in der Hitze geblieben, um aufzupassen, dass kein Feuer ausbrach und keiner der Kessel erlosch.
Kapitän Svartman kam selbst, um Hanna abzuholen. Er klopfte vorsichtig an die Tür der Kabine, die sie mit ihrem toten Mann geteilt hatte. Jetzt würde sie allein dort schlafen, dachte Svartman. Was soll ich tun, wenn sie sich vor der Einsamkeit fürchtet? Was mache ich mit einer Witwe an Bord?
Er öffnete die Tür. Sie saß auf dem Rand der Koje und starrte auf ihre Hände. Gerade hatte sie sich die lange Reise ins Gedächtnis gerufen, die in einem fernen Flusstal begonnen hatte. Sie hatte einen Mann getroffen, sie waren ein Paar geworden. Und jetzt gab es ihn nicht mehr.
Zwei Monate hatten sie miteinander gehabt. Dann war das plötzliche Fieber, das ihn nach dem Landgang im Sudan befallen hatte, sein Tod geworden. Aber sie war noch da. Und jetzt sollte er bestattet werden.
Als sie sich von der Koje erhob, fühlte sie sich, als wäre sie zu ihrer eigenen Bestattung unterwegs. Oder zu ihrer Hinrichtung. Abermals war sie allein geblieben, diesmal in einer schmerzlicheren Situation als je zuvor. Warum sollte sie zur anderen Seite der Welt fahren, wenn ihr Mann nicht mehr da war? Kapitän Svartman ging zur
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