Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
war erstickend, die gemauerten Wände trieften vor Feuchtigkeit. Eidechsen mit blanker, fast durchsichtiger Haut klebten an der Decke über ihr. Auf dem dunklen Fußboden knisterte es von Insekten, die sich in den Schatten verbargen. Eine Mulattin mit wachsamen Augen hatte ihr eine Öllampe gegeben, deren Flamme flackerte wie der letzte Atemzug eines Sterbenden.
Und jetzt: die Morgendämmerung. Der Schrei des Pfaus hallte noch in ihr nach. Auf unsicheren Beinen ging sie zum Fenster und sah, wie sich die Sonne über dem Horizont erhob. In Gedanken sah sie wieder, wie das Schiff verschwand, sich auf dem Weg nach Australien mit seiner nach Wald duftenden Fracht auflöste.
Sie wusch sich in einer Schüssel. Die Pfundscheine von Kapitän Svartman versteckte sie zwischen der Unterwäsche in ihrer Tasche.
An einer der gemauerten Wände hing ein verschmutzter Spiegel. Sie erinnerte sich an den Rasierspiegel ihres Vaters und stellte sich dicht davor, um ihr Gesicht zu sehen.
Plötzlich zuckte sie zusammen und drehte sich um. Die Tür zu ihrem Zimmer mit der Zahl 4 auf einem festgepinnten Zettel hatte sich geöffnet. Die Mulattin, die ihr am Vorabend die Öllampe gegeben hatte, stand da und schaute sie an. Dann trat sie ein und stellte ein Tablett mit etwas Brot und einer Tasse Tee auf den einzigen Tisch.
Sie war barfuß, bewegte sich lautlos. Sie trug einen Lendenschurz und hatte nackte glänzende Brüste.
Hanna wollte sofort wissen, wie die farbige Frau hieß. Dann wäre ihr eigener Name nicht mehr der einzige, den sie in dieser Welt kannte. Aber sie konnte sich nicht überwinden, etwas zu sagen. Die lautlose Frau verschwand, die Tür wurde geschlossen.
Hanna trank ihren Tee, der sehr süß war. Als sie die Tasse auf die Untertasse zurückstellte, fühlte sie sich elend. Sie legte ihre Hand auf die Stirn. Sie war heiß. War es nur die Wärme im Zimmer? Sie wusste es nicht.
Die Schmerzen im Bauch kehrten zurück. Sie legte sich aufs Bett und schloss die Augen. Der dumpfe Schmerz kam und ging in Wellen. Sie schlummerte ein, wachte aber mit einem Ruck wieder auf. Sie legte die Hand auf ihren Unterleib. Sie wurde nass. Als sie die Hand ansah, war sie voller Blut. Sie stieß einen Schrei aus und setzte sich auf.
Der Tod, dachte Hanna zitternd. Es war nicht nur Lundmark, den er holen wollte. Er will auch mich. Sie wimmerte vor Angst, zwang sich aber, aufzustehen und zur Tür zu wanken. Draußen führte ein Gang um einen offenen Innenhof herum. Sie hielt sich am Geländer fest, um nicht zu fallen. An einem schwarzen Klavier im gepflasterten Innenhof saß jemand und säuberte die Tasten mit einem Leinentuch.
Sie hatte wohl ein Geräusch von sich gegeben, das ihr nicht bewusst war. Der Mann am Klavier dreht sich um und sah sie an. Sie hob ihre blutigen Hände in einer flehenden Geste, als wollte sie sich jedem überlassen, der ihr nur helfen könnte.
Ich sterbe, dachte Hanna. Auch wenn er nicht begreift, was ich sage, muss er doch einen Schrei nach Hilfe verstehen.
»Ich blute«, schrie sie. »Ich brauche Hilfe.«
Sie war kurz davor, ohnmächtig zu werden, und kehrte auf zitternden Beinen in Zimmer 4 zurück. Es war, als liefe das Leben aus ihr heraus. Bald würde sie zu Lundmark hinuntersinken.
Jemand berührte Hanna an der Schulter. Dieselbe Frau, die ihr den Tee serviert hatte. Behutsam hob sie Hannas Rock, schaute sich ihren Unterleib an und ließ den Rock dann wieder fallen, ohne dass ihr Gesicht preisgegeben hätte, was sie dachte.
In diesem Moment wünschte sich Hanna nichts sehnlicher, als dass die farbige Frau sich in Elin verwandeln möge. Aber Elin lebte in einer anderen Welt. Hanna meinte, sie wie in einem Nebel sehen zu können, wie sie auf dem Hof vor dem grauen Haus stand, zum Fjäll auf der anderen Seite des Flusses spähend.
Die farbige Frau drehte sich um und verließ das Zimmer. Hanna merkte, dass sie es eilig hatte.
Einmal werde ich ihren Namen erfahren, da ich mich weigere zu sterben, dachte sie.
Ich will nicht sinken. Noch nicht.
24
Hanna erwachte davon, dass der Vorhang vor dem Fenster aufflatterte, als die Tür geöffnet wurde. Es war nicht die Mulattin, sondern eine fremde Frau. Sie war tiefschwarz mit glänzender Haut, die Haare in Zöpfen, dicht am Schädel. Ihre Lippen waren rot, kräftig geschminkt.
Die Frau trug nichts als seidene Unterwäsche und einen dünnen Morgenmantel mit einem Muster aus feuerspeienden Drachen und Dämonen.
Ihre Stimme war dunkel, vielleicht heiser oder
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