Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
gesprungen von Zigaretten und Alkohol. Zu Hannas Erstaunen, als wäre das, was sich vor ihren Augen abspielte, eine Fortsetzung ihrer wirren Träume, begann die halbnackte Frau in einer Sprache mit ihr zu reden, die sie sofort erkannte, ohne sie je zuvor gehört zu haben. Als sie zu dem Hotel gekommen war, hatte sie den Zimmerschlüssel von einer Frau erhalten, die Englisch sprach. Hanna verstand nichts, hatte aber mit Handzeichen und einzelnen Wörtern klargemacht, dass sie ein Zimmer suchte.
Aber jetzt stand die fremde schwarze Frau vor ihr und verlieh dem Wörterbuch Leben, das Hanna aus Forsmans geflochtenem Papierkorb gezogen hatte. So also klang die Sprache, deren Wörter sie sich eingeprägt hatte.
Vieles von dem, was die Frau sagte, war für Hanna zunächst unbegreiflich, und sie erriet es bestenfalls.
Die Frau deutete auf Hannas schwedisches Seefahrtsbuch auf dem Nachttisch. Von dem, was sie dann sagte, verstand Hanna gerade so viel, dass sie einmal mit einem schwedischen Seemann zusammengelebt habe, der Harry Midgård hieß und ein schrecklicher Mann war, wenn er trank. Hanna ahnte auch, dass er auf einem norwegischen Walfangschiff gearbeitet hatte.
Die Frau wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß vom Hals. »Felicia«, sagte sie. »Ich heiße Felicia.«
Felicia? Der Name sagte ihr nichts. Aber trotzdem war es, als würden Hannas Erinnerungsbilder langsam wiederkehren. Ihr stolperndes Gespräch ging weiter.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte sie.
»Es ist der vierte Tag, den du hier bist.«
Felicia hatte eine Zigarette angezündet, die sie hinter ein Ohr geklemmt hatte. Sie schaute Hanna prüfend an.
Hanna kam der Gedanke, dass sie schon einmal diesen forschenden Blick gespürt hatte. Das war, als ihre Mutter Forsman gebeten hatte, sie mit zur Küste zu nehmen. Er hatte sie angeschaut, als suchte er eine Wahrheit, die nicht ganz selbstverständlich war.
»Schaffst du es, aus dem Bett aufzustehen?«, fragte Felicia.
Hanna horchte in sich hinein. Sie war sehr schwach, und ihre Beine zitterten. Sie trug ein weißes Nachthemd, das ihr jemand angezogen haben musste, während sie schlief. Felicia half ihr, in einen Morgenmantel zu schlüpfen, der stark nach Parfum roch, und streifte ihr Pantoffeln über die Füße. Sie gingen die Stufen zum Innenhof hinunter, der jetzt verlassen dalag. Hanna hatte das portugiesische Wörterbuch mitgenommen, das sie auf der Reise begleitet hatte. Felicia stützte sie und führte sie in einen von Mauern umgebenen Hinterhof.
Es hatte geregnet. Die Erde was nass, und Hanna dachte an den Geruch nach der Heuernte am Fluss. Es brodelte und gärte in der feuchten Erde.
Felicia half Hanna, sich auf eine Bank unter einem blühenden Palisanderbaum zu setzen. Sie selbst blieb stehen.
»Ist es das, was ich glaube?«, fragte Hanna.
»Ich kann nicht wissen, was du glaubst«, antwortete Felicia.
Dann erklärte sie mit wenigen Worten, was geschehen war. Hanna hatte eine Ahnung gehabt, was ihre Bauchschmerzen bedeuteten, und es wurde ihr jetzt bestätigt. Sie hatte eine frühe Fehlgeburt erlitten. Lundmarks Kind, das ausgestoßen worden war. Ein Kind ohne Vater, das nicht auf die Welt hatte kommen wollen.
»Ich weiß so wenig«, sagte sie.
»Es ist noch kein Kind, das ausgestoßen wurde. Nur blutiges Öl, das noch keinen Geist besaß.«
Felicia läutete mit einer kleinen Glocke, die auf dem Tisch in der Nähe stand. Ein junger Diener in weißer Jacke kam und stellte sich neben die Bank.
»Tee?«, fragte sie und sah Hanna an, die nickte.
Während sie auf den Tee warteten, schwiegen sie. Weiße Schmetterlinge umschwebten die blauen Blüten des Baums. Aus der Ferne ertönte der Ruf eines Muezzins. Hanna erinnerte sich plötzlich an den Gebetsruf, als sie und Lundmark in Alger geheiratet hatten.
Sie beugte den Kopf zurück, so dass ihr Gesicht im Schatten des Palisanderbaums lag. Felicia schaute auf ihre Hände. Ein Nagel war abgebrochen, was sie zu irritieren schien.
Sie setzte sich nicht neben Hanna, obwohl auf der Bank genug Platz war. Hanna dachte, sie kenne diese schwarze Frau überhaupt nicht, die ihr vermutlich das Leben gerettet hatte. Fast hatte sie Angst vor ihr, auf die gleiche Weise, wie sie Angst vor den schwarzen Männern an ihren Feuern am Hafen gehabt hatte. Irgendwie erinnerte sie diese Angst an das, was sie als Kind vor der Dunkelheit empfunden hatte.
Ich sehe dich, Felicia, dachte sie. Aber was siehst du? Wer bin ich für dich? Und warum setzt
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