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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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du dich nicht? Die Bank ist groß genug für uns beide.
    Der junge Kellner brachte den Tee und unterbrach ihre Gedanken. Hanna sah auf seine Hände, als er servierte.
    Nur sie bekam eine Tasse. Felicia nicht.
    »Wie heißt er?«, fragte sie Felicia.
    »Estefano.«
    »Wie alt ist er?«
    »Vierzehn Jahre, höchstens. Aber er hat noch nie mit einer Frau geschlafen. Er ist also noch ein Kind. Noch immer sind seine Hände sehr weich.«
    Hanna trank schweigend ihren Tee. Dann bat sie Felicia, alles zu erzählen. Was war während der Tage und Nächte geschehen, von denen ihr nichts anderes in Erinnerung war als Schatten, Einsamkeit und ein Schmerz, der in langgezogenen Wellen kam und ging?
    Felicia sollte nichts auslassen. Nur sagen, wie es gewesen war. Und langsam, damit sie es verstand.

25
     
    Felicia sagte:
    »Laurinda, die dir die Lampe gab, als du kamst, erzählte mir, eine weiße Frau wohne im Zimmer Nummer 4. Ich wusste nicht, dass du im Hotel eingezogen warst, weil ich gerade meinen Mann und meine Kinder auf Katembe besucht habe. Ich treffe sie einmal im Monat, ohne im voraus zu bestimmen, wann, sondern immer überraschend, wenn es Senhor Vaz passt. Ich war gerade zurückgekehrt und hatte meinen ersten Kunden bedient, als Laurinda angelaufen kam. Ich dachte, sie hätte ein Gespenst gesehen, eine weiße Erscheinung, und wollte, dass ich das Gespenst vernichte. Aber als ich ins Zimmer kam, wurdest du sofort lebendig. Eine blutende Frau ist das Lebendigste, was ich mir vorstellen kann. Das Blut, das aus unseren Körpern fließt, zeigt, dass wir leben, aber auch, dass wir sterben. Ich verstand, was geschehen war, ohne zu wissen, wer du warst oder woher du gekommen bist. Eigentlich hättest du vor mir tanzen sollen. Das ist die Art, wie wir in meinem Dorf und meiner Familie Fremde kennenlernen. Indem wir sie tanzen sehen, erfahren wir, wer sie sind.
    Aber dich habe ich durch dein Blut kennengelernt. Ich habe Laurinda zugeflüstert, warmes Wasser und Handtücher zu holen. Du schienst wach zu sein und hast mich angesehen, aber trotzdem war es, als wüsstest du nicht, was geschah. Ängstliche Menschen soll man mit leiser Stimme ansprechen, das habe ich von meiner Mutter gelernt. Ein Ruf in Gegenwart des Kranken kann sich in einen tödlichen Speer verwandeln.
    Laurinda brachte Wasser und Handtücher, ich zog dir die blutigen Kleider aus. In deiner Unterwäsche fand ich Geldscheine, eine große Summe, die mich noch neugieriger darauf machte, wer du bist. Für ein englisches Pfund kann man eine Woche bei mir im Bett bleiben. Du hattest das Fünfzigfache. Ich verstand nicht, dass eine Frau, auch wenn sie weiß war, so viel Geld besitzen konnte.
    Aber ich muss auch gestehen, dass ich dachte, wenn du stirbst, würde ich das Geld an mich nehmen. Wenn es niemanden gab, der auf dich wartete, wenn du nicht einem anderen gehörtest. Ich legte es wieder zwischen deine Wäsche, aber ich wusste jetzt, wo es sich befand. Deine Blutung war kräftig, und ich spürte, wie heiß deine Stirn war. Es gab einen Augenblick, in dem ich dachte, dein Leben sei nicht zu retten, ich hätte mich getäuscht: Vielleicht war es keine Fehlgeburt, sondern eine mir unbekannte Krankheit, die dich befallen hatte.
    Laurinda hielt sich im Hintergrund auf, jederzeit bereit, mir zu helfen. Plötzlich hörte ich, dass Senhor Vaz ins Zimmer gekommen war. Er lebt sein Leben, um Menschen zu überrumpeln, sie bei etwas zu ertappen, was sie nicht tun dürfen. Ich hörte ihn flüsternd fragen, was geschehen war, und Laurinda wusste nicht, was sie antworten sollte. Als ich hörte, dass er Doktor Garibaldi benachrichtigen wollte, sagte ich, das sei nicht nötig, Doktor Garibaldi verstehe nichts von dieser Blutung. In diesem Augenblick glaubte ich, Senhor Vaz würde mich schlagen, weil er nicht duldet, dass eine seiner Huren eine eigene Meinung äußert. Aber er rührte mich nicht an. Er sah wohl ein, dass ich in diesem Punkt recht hatte und dass Doktor Garibaldi das Übel noch vergrößern würde. Das wollte er nicht, es könnte seinem Etablissement einen schlechten Ruf eintragen. Die Kunden könnten zu anderen Huren gehen, auch wenn Senhor Vaz den Ruf hatte, ein sauberes Freudenhaus zu betreiben. Außerdem hat er attraktive schwarze Frauen. Aber wenn eine weiße Frau in einem seiner Zimmer verblutete, könnte das ein schlechtes Omen sein. Etwas Böses, das über O Paraiso kreiste. Auch wenn alle Weißen das verachten, was wir glauben, haben wir euch nicht unbeeinflusst

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