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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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erlebt, wie ein alter Mann die Augen auf diese langsame Art öffnete. Das war, als sie und Jukka in das Zimmer gekommen waren, in dem der Alte, der im Haus ihrer Verwandten einquartiert war, in seinem schmutzigen Bett gelegen hatte. Er schien hungrig, war bis an die Grenze der Austrocknung abgemagert. Die Haut spannte über seinen Wangenknochen. Bevor Hanna zu reagieren vermochte, hatte Ana Dolores den Mann gepackt, ihn wie eine schlaffe Puppe hochgerissen und mit einer kräftigen Ohrfeige in eine Anpflanzung von blühenden Rhododendronbüschen befördert. Dort blieb er liegen, während Ana Dolores die Bank mit einem Taschentuch abwischte und Hanna dann ein Zeichen gab, sich zu setzen.
    Für einen Augenblick war es im Park ganz still geworden. Die Reifen rollten nicht länger, die Damen auf den Bänken waren verstummt, die halbnackten Gartenarbeiter zwischen den Anpflanzungen rührten sich nicht. Später, als alles wieder zur Normalität zurückgekehrt war, fragte sich Hanna, ob die Stille auf dem beruhte, was schon geschehen war, oder auf dem, was geschehen würde.
    Würde überhaupt etwas geschehen?
    Hanna warf einen Blick auf Ana Dolores, die sacht mit einer Hand vor dem Gesicht fächelte, während sie den Sonnenschirm über ihren Kopf hielt. Hanna sah sich um. Der alte Mann lag noch immer zwischen den blühenden Büschen. Er rührte sich nicht.
    Ich verstehe das nicht, dachte sie. Hinter der Bank, auf der ich sitze, liegt ein alter Mann, der niedergeschlagen wurde. Keiner tut etwas für ihn. Auch ich nicht.
    Wie lange sie auf der Bank saßen, wusste sie nicht. Aber als Ana Dolores fand, es sei Zeit, ins O Paraiso zurückzukehren, war der alte Mann verschwunden. Vielleicht war er tiefer unter die Rhododendronbüsche gekrochen und hatte sich zusammen mit den Schlangen versteckt, die alle fürchteten.
     
    Ein paar Tage später geschah etwas, was Hanna tief erschütterte und an sich zweifeln ließ. Was war aus ihr geworden? Laurinda ließ eine Schale fallen, als sie Hanna ihren Morgentee servierte. Die Schale zerbrach auf dem Steinboden. Hanna, die vor dem Spiegel stand und sich kämmte, drehte sich heftig um und verpasste Laurinda eine Ohrfeige. Dann zeigte sie auf die Scherben und befahl ihr, sie aufzuheben.
    Laurinda kroch auf den Knien herum und sammelte das zerschlagene Porzellan ein. Unterdessen saß Hanna auf dem Bettrand und wartete, bis der Tee abgekühlt war und sie ihn trinken konnte.
    Laurinda stand auf.
    Das irritierte Hanna. »Wer hat dir gesagt, dass du aufstehen und gehen kannst?«, fragte sie. »Es liegen immer noch Scherben auf dem Boden.«
    Laurinda kniete sich wieder hin. Hanna reizte es, dass sie nie irgendwelche Reaktionen an ihrem Gesicht ablesen konnte. Fürchtete sie, dass Hanna sie bestrafen könnte? Oder war sie nur gleichgültig oder sogar von Verachtung für diese weiße Frau erfüllt, zu deren Lebensrettung sie beigetragen hatte?
    Laurindas Augen waren sehr klar, von einer Art rätselhaftem innerem Glanz glimmend, den Hanna nie in den Augen weißer Menschen entdeckt hatte.
    »Du kannst gehen«, sagte sie. »Aber ich will wissen, wann du kommst und gehst. Ich will, dass du Schuhe an den Füßen trägst, wenn du mich bedienst.«
    Laurinda stand auf und verließ das Zimmer. Es gelang ihr, ihre nackten Fersen wie Absätze klingen zu lassen. Hanna nahm an, dass sie unterwegs zur Küche war, um etwas von den Eintöpfen des Kochs Madrillo zu naschen.
    Hanna blieb sitzen und versuchte, das Haus am Fluss heraufzubeschwören. Elin, ihre Geschwister, das braune, klare Wasser in den Flüssen vom Fjäll.
    Aber sie sah nichts. Es war wie eine Schicht, die sie nicht mehr durchdringen konnte.
    Sie empfand Reue über die Art, wie sie Laurinda behandelt hatte. Es erschreckte sie, wie leicht es ihr gefallen war, diese freundliche Frau zu demütigen. Sie schämte sich.
    Am nächsten Tag kam der Schimpanse hinauf in ihr Zimmer. Auf einem Silbertablett lag eine Blüte des Palisanderbaums, von Senhor Vaz geschickt. Als Gruß hatte er nur seinen Namen geschrieben.

30
     
    Die blaue Blüte des Palisanderbaums, in einer kleinen Schale mit Wasser schwimmend, war noch nicht verwelkt, als etwas geschah, was Hannas Leben wiederum verändern sollte.
    Es war früh am Morgen, als sie die Treppe hinunterstieg, endlich wiederhergestellt, auch wenn die Trauer um den toten Lundmark unverändert quälend war.
    Ein weißer Mann mit aufgeknöpftem Hemd, barfuß, aber mit Hut auf dem Kopf, lag auf einem Sofa und schlief. Die

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