Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Frauen, die im Bordell arbeiteten, waren wohl in ihren Zimmern, allein oder mit Kunden, die dafür bezahlt hatten, über Nacht zu bleiben. Nur Schimpanse Carlos ließ sich blicken. Er hatte sich in der Deckenlampe zusammengekauert, wo er sich langsam vor und zurück wiegte, während er wachsam ihre Bewegungen verfolgte.
Auch Senhor Vaz war nicht zu sehen. Hanna atmete stickige Luft von Zigarren und alkoholischen Getränken, obwohl die Jalousien hochgezogen waren und die Fenster offen standen. Der schwarze Mann, der den Eingang bewachen sollte, schlief draußen im Schatten.
Hanna stellte sich in die offene Tür zur Straße, vorsichtig, um den schlafenden Wächter nicht zu wecken. Ein paar schwarze Männer, die einen Wagen mit Latrinentonnen zogen, blieben stehen und starrten sie an. Sie ging wieder hinein. Als der Wagen davongeklappert war, kehrte sie zur Tür zurück. Jetzt waren es zwei weiße Männer mit Strohhüten und mit Ledermappen in den Händen, die innehielten und sie anstarrten. Zum zweiten Mal zog sie sich von der Tür zurück.
Stimmte etwas mit ihrer Kleidung nicht? Hanna stellte sich vor einen der vielen hohen Spiegel an den Wänden. Sie trug weiße Kleidung, hatte einen braunen Schal über den Schultern, und ihre Haare hatte sie wie üblich zu einem Knoten im Nacken geschlungen. Sie hatte abgenommen und war sehr bleich. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie die milchweiße Haut, die ihre Mutter ausgezeichnet hatte. Aber Hannas Gesicht war das ihres Vaters. Im Spiegel sah sie ihn. Es war, als käme er näher und stünde schließlich direkt neben ihr.
Der Gedanke machte sie traurig. Wäre nicht im selben Moment eine Tür hinter ihrem Rücken geöffnet worden, hätte sie vielleicht zu weinen angefangen. Als sie sich umdrehte, sah sie einen krummen Mann, klein, fast zwergenhaft, den Raum betreten. Er hinkte, und bei jedem Schritt zuckte es in seinem Nacken. Es war der Klavierstimmer, den sie bisher nur auf dem Klavierhocker hatte sitzen sehen. Er tastete sich vorsichtig an Stühlen und Sofas entlang. Für einen Augenblick blieb er stehen, als er an einen nackten Fuß des schlafenden Mannes gestoßen war, bevor er das Klavier erreichte. Dort setzte er sich, klappte den Deckel hoch und strich mit den Händen über die Tasten, als liebkoste er die Haut einer Frau oder eines Kindes. Hanna stand regungslos da und betrachtete ihn, erinnerte sich an Forsmans Klavier und dachte plötzlich, sie solle so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren. Hier war sie nicht zu Hause und würde es nie sein.
Der Mann am Klavier wandte sich ihr zu.
Er sagte etwas, was sie nicht verstand. Als sie nicht antwortete, wiederholte er die Worte.
Da begann Hanna, Schwedisch zu sprechen. Das Schweigen war keine Sprache. Sie stellte sich dem Mann vor, sagte ihren Namen und erzählte von dem Schiff, mit dem sie gekommen und von dem sie dann geflohen war.
Sie sprach ohne Unterlass, als fürchtete sie, jemand könnte sie unterbrechen. Der Mann am Klavier saß regungslos.
Als Hanna verstummt war, nickte er langsam. Es war, als hätte er verstanden, was sie sagte.
Er wandte sich dem Klavier zu, zog eine Stimmgabel aus der Tasche und schlug behutsam einzelne Tasten an. Hanna hatte das Gefühl, er mache es so leise wie möglich, um die Schlafenden nicht zu wecken.
Der Mann auf dem Sofa richtete sich schlaftrunken auf. Als er sie erblickte, fuhr er zusammen und starrte sie ungläubig an. Dann wollte er sie ansprechen. Hanna schüttelte nur den Kopf und ging die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich aufs Bett, holte die Pfundscheine zwischen ihrer Unterwäsche hervor und zählte sie. Es waren genug, um ihr die Heimreise zu ermöglichen. Vielleicht würde sie nicht einmal arbeiten müssen, sondern könnte als Passagierin auf einem Schiff reisen.
Es klopfte an der Tür. Hanna raffte schnell das Geld zusammen und versteckte es unter dem Kopfkissen. Als das Klopfen energischer wurde, stand sie auf und öffnete die Tür. Sie dachte, es sei Laurinda, die ihr schon ihren Tee brachte. Aber vor der Tür stand der Mann, der auf dem Sofa geschlafen hatte. Er trug noch immer den Hut auf dem Kopf und war barfuß. Das Hemd war offen, der Bauch hing über den Hosenbund. In einer Hand hielt er eine Cognacflasche. Er lächelte und sprach mit leiser Stimme, als lockte er einen zögernden Hund. Sie wollte ihre Tür schließen, aber er stellte einen nackten Fuß dazwischen. Dann stieß er sie ins Zimmer, so dass sie aufs Bett fiel. Er
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