Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
wiederhergestellt zu sein, folgte eine Periode, in der sie von großer Müdigkeit wie gelähmt war. In dieser Zeit lehrte Ana Dolores Hanna auch den richtigen Gebrauch der portugiesischen Sprache. Wenn Hanna nicht zu müde war, übte sie fleißig.
Hanna lernte während dieser Zeit auch, wie sie als weiße Frau die schwarzen Menschen behandeln sollte, die im Haus arbeiteten. In diesem Haus, das vor allem ein Bordell für weiße Männer auf einem flüchtigen Besuch in der Hafenstadt war. Anfangs fand Hanna es empörend, die unverhüllte Verachtung zu erleben, die bittere Herablassung, die alles prägte, was Ana Dolores in Bezug auf die schwarzen Frauen tat, die ins Krankenzimmer kamen. Aber ohne es zu wollen, reagierte sie immer weniger ablehnend auf das, was Ana Dolores sagte.
Als es Hanna gut genug ging, um das Bett zu verlassen und immer längere Spaziergänge in der Stadt zu unternehmen, stets in Begleitung von Ana Dolores, erkannte sie, dass ihr Verhalten immer gleich war: auf der Straße, im Park, an einem der langen Strände oder in einem Geschäft – nicht nur in den vier Wänden des O Paraiso .
Ana Dolores betrachtete es als Selbstverständlichkeit, dass schwarze Menschen niedriger stehende Geschöpfe waren. Für Hanna war es wie eine Auffrischung der Erinnerungen an ihre Zeit in Forsmans Haus, auch wenn sie damals noch nicht einmal wusste, dass es schwarze und weiße Menschen gab. Bei Forsman spürte sie eine Verachtung gegenüber denjenigen, die zuunterst standen. Nicht nur in seinem Haus, sondern auch draußen in der Gesellschaft. Als Hanna versucht hatte, sich selbst als Beispiel für Forsmans Güte hinzustellen, hatte Berta energisch widersprochen. Bei einigen Gelegenheiten hatte Hanna auch bemerkt, dass Forsman brutal herablassend zu armen Menschen sein konnte, die ihm in den Weg kamen.
Ana Dolores erklärte ihr: »Die Schwarzen sind nur Schatten von uns. Sie haben keine Farbe. Gott hat sie schwarz gemacht, damit wir sie in der Dunkelheit nicht sehen müssen. Und wir sollten auch nie vergessen, woher sie gekommen sind.«
Auch wenn Hanna sich daran gewöhnte, betrachtete sie Ana Dolores’ Verhalten mit Unbehagen. Wenn sie schwarze Frauen schlug, die ihr nicht Platz machten, oder Kinder ohrfeigte, die ihr in den Straßen Bananen anboten, wollte Hanna nur von dort fliehen. Ohne Unterlass, als wäre es ein selbstverständlicher Teil von Hannas Pflege, sprach Ana Dolores von der Unterlegenheit der Schwarzen, ihrer Falschheit, ihrer Unreinheit, sowohl körperlich wie seelisch. Hannas Widerstand erlahmte. Sie nahm auf, was sie hörte, als könnte es trotz allem wahr sein. Ihr wurde bewusst, dass es einen entscheidenden Unterschied zu dem Leben gab, das sie in Forsmans Haus geführt hatte. Da hatte sie zu den armen Arbeitern und Dienstboten gehört. Hier befand sie sich kraft ihrer Hautfarbe auf einem ganz anderen Niveau, über den Schwarzen. Hier war sie es, die bestimmen sollte, die das Recht hatte, mit gottgegebener Erlaubnis zu befehlen und zu bestrafen. Hier war sie Jonathan Forsman ebenbürtig. Obwohl sie nur eine entlaufene Köchin war.
Am Ende der langen Zeit, in der Ana Dolores sie pflegte, machten sie einen Spaziergang durch den kleinen botanischen Garten. Er lag ein paar Blocks entfernt von der rua Bagamoio, neben dem Hügel, auf dem die weißglänzende neue Kathedrale errichtet wurde. Beide schützten sich mit aufgespannten Schirmen vor der Sonne. Es war sehr warm, und sie suchten den Schatten des Parks. Schilder am Parkeingangstor wiesen darauf hin, dass die Bänke den Weißen vorbehalten seien. Die Texte waren in einem so bedrohlichen Ton formuliert, dass die Schwarzen, auch wenn sie das Recht hatten, sich in dem Park aufzuhalten, die Sandwege nur zögernd betraten. Jetzt waren da nur die Gartenarbeiter, die halbnackt Unkraut jäteten, stets darauf gefasst, dass Giftschlangen unter den herabgefallenen Blättern auftauchen könnten.
Viele Bänke waren an diesem Nachmittag besetzt, als Ana Dolores und Hanna daherkamen. Im Park versammelten sich Beamte von den verschiedenen kolonialen Behörden, Mütter mit seilspringenden Töchtern, Jungen, die ihre Reifen vor sich hertrieben.
Plötzlich blieb Ana Dolores stehen. Vor ihr auf einer Bank saß ein alter schwarzer Mann und schlief. Hanna sah die Wut in ihrem Gesicht, bevor Ana Dolores den Mann auf die Schulter schlug. Er wachte langsam auf, sah die beiden Frauen fragend an und machte sich bereit, wieder einzuschlafen.
Schon einmal hatte Hanna
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