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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Hund?
    Jetzt wartete sie nicht länger. Sie machte Laurinda ein Zeichen, das Tablett auf dem Tisch stehenzulassen, und zeigte auf die Tätowierung, die über ihrer Bluse zu sehen war.
    »Was stellt sie dar?«
    »Eine säugende Hyäne«, antwortete Laurinda.
    Als sie merkte, dass Hanna mit dem Wort Hyäne nichts anfangen konnte, zeigte sie auf ein stimmungsvolles Bild an der Wand. Während der Tage, in denen Hanna das Bett nicht verlassen konnte, hatte sie stundenlang diese Darstellung wilder Tiere in der afrikanischen Savanne betrachtet.
    Laurinda tippte auf eins der Tiere. »Hyäne«, wiederholte sie. »Sie lachte in der Nacht, in der ich geboren wurde. Mein Vater, der die Hyäne in der Dunkelheit hörte, sagte später zu meiner Mutter, die Hyäne habe mich willkommen geheißen und mir mit einem Lachen meine erste Nahrung gegeben.«
    Dann erzählte sie, ohne zu zögern, als hätte sie nur auf den richtigen Augenblick gewartet, was in der Nacht ihrer Geburt geschehen war. Hanna verstand nicht alles, und Laurinda musste oft die Hände zu Hilfe nehmen oder verschiedene Laute formen.
    Sie imitierte auch das, was das Lachen einer Hyäne war.
    »Ich war das erste Kind meiner Eltern«, sagte Laurinda. »Wie alt ich bin, weiß ich nicht. Aber bevor mein Onkel starb, sagte er, ich sei in dem Jahr geboren, in dem die Krokodile im Fluss sich so vermehrt hätten, dass sie sich gegenseitig angriffen und fraßen. Es war auch das Jahr, in dem der Flamingo seine rosa Farbe verlor und ganz weiß wurde. Es war ein Jahr, in dem viele seltsame Dinge geschahen. Meine Eltern wohnten an einem Nebenfluss des großen Zambesi, in einem Dorf, in dem jeder seine eigene Anpflanzung hatte, seine Hütte, seine Ziegen und ein Lächeln für alle, denen er während des Tages begegnete. Ich wuchs in einer glücklichen Welt auf und glaubte nicht, dass sie sich je verändern könnte. Aber eines Tages, als ich groß genug war, um meiner Mutter auf den Feldern zu helfen, und schon drei kleinere Geschwister hatte, kamen weiße Männer in unser Dorf. Sie hatten lange Bärte, ihre Kleider waren fleckig von Schweiß, sie schienen die Wärme der Sonne zu hassen und hatten es sehr eilig. Sie hielten Waffen in den Händen und zeigten dem Dorfhäuptling Papiere mit vielen Wörtern darauf. Ein paar Wochen später wurden wir aus unserem Dorf von Soldaten vertrieben, die von den weißen Männern kommandiert wurden. Aus unseren kleinen Parzellen sollte eine große Baumwollplantage werden. Wer bleiben und in der Baumwollplantage arbeiten wollte, durfte das tun. Alle anderen wurden weggejagt. Mein Vater Papadjana war ein Mann, der sich selten entmutigen ließ, wenn er in Schwierigkeiten geriet. Diese weißen Männer mit ihrer Baumwollplantage waren eine große Schwierigkeit, aber auch jetzt wollte er sich nicht besiegen lassen. Er sprach die weißen Männer an und sagte, er würde nicht weggehen und auch nicht als Baumwollpflücker arbeiten. Was auch auf dem Papier geschrieben stünde und wie viele Soldaten sie auch bedrohten, er würde bleiben, wo er war. Er hatte sehr laut gesprochen, und die versammelten Dorfbewohner schöpften Mut und begannen, ihre aufgestaute Wut zu zeigen, als sie merkten, dass einer von ihnen keine Angst hatte. Was dann geschah, weiß ich nicht. Aber es kamen immer mehr Soldaten, und eines Morgens erzählte meine Mutter weinend, dass mein Vater im Fluss treibend aufgefunden worden war, tot, von Messern zerschnitten. Es war früh in der Morgendämmerung. Sie stand über mich gebeugt und sagte zu mir, ich müsse sofort in die Stadt gehen. Ich könne nicht im Dorf bleiben. Sie würde die kleineren Kinder tiefer ins Inland mitnehmen, wo ihre Eltern wohnten. Aber ich sollte mich zum Meer und in die Stadt durchschlagen. Ich wollte nicht gehen, aber sie zwang mich.«
    Laurinda verstummte plötzlich, als würden ihr die Erinnerungsbilder zu schwer. Hanna fühlte sich auf eine seltsame Art an ihr eigenes Leben erinnert. Sie kamen beide aus einer Welt, in der Frauen vertrieben wurden, in die Städte und ans Meer gehen mussten, um Arbeit zu suchen und zu überleben.
    »Ich bin in diese Stadt gekommen«, sagte Laurinda, als sie schließlich wieder sprechen konnte. »In all den Jahren, die vergangen sind, habe ich manchmal gedacht, dass ich eines Tages zurückkehren und nach meiner Mutter und meinen Geschwistern suchen werde. Manchmal träume ich, dass die tätowierte Hyäne sich aus meiner Haut befreit und sich auf Wanderschaft begibt. In der

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