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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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schreien und zu schlagen und die Vorhänge herunterzureißen, als alle ihn streicheln wollten.
    Erst als niemand sich mehr um ihn kümmerte, kam er endlich zur Ruhe.

39
     
    Hanna dachte: Was geschieht mit einem Affen, der kein Affe mehr sein will? Und kann das auch mit einem Menschen geschehen? Dass er nicht mehr der sein will, der er ist?
    Auf losen Zetteln schrieb sie ihre Gedanken nieder. Aber sie erwähnte sie niemandem gegenüber.
    Nach Carlos’ Wiederkehr begann Senhor Vaz sie erneut zu umwerben. Sie hatte ihm antworten wollen, wie es war, dass sie vor kurzem Witwe geworden sei. Ihre Trauerzeit würde noch lange währen. Aber Senhor Vaz stellte keine Fragen. Er umwarb sie still, manchmal fast abwesend. Eines Tages nahm er sie in einem der wenigen Autos der Stadt mit. Das Fahrzeug gehörte einem Artillerieoberst des portugiesischen Regiments, das hierher verlegt worden war. Sie fuhren auf der kleinen Straße am Strand entlang, wo eine Hafenpromenade gebaut wurde. Hanna sah die schwarzen Arbeiter in der Hitze die schweren Steine schleppen, doch Senhor Vaz schien sie nicht zu bemerken. Er genoss den Blick aufs Meer und zeigte auf ein Segelboot, das auf den Wellen schaukelte.
    Sie bogen vom Meer ab, und das Auto kletterte die Hänge zu dem höher gelegenen Teil der Stadt hinauf. Dort wurden mehrere Steinhäuser rund um eine Art Park gebaut. Auf Schienen wurden Wagen von Pferden gezogen.
    Das Auto blieb vor einem Haus stehen, das neu und unbewohnt schien. Es hatte eine weißverputzte Fassade und einen Garten mit Rhododendren und Akazien. Senhor Vaz öffnete die Autotür und half ihr hinaus. Sie sah ihn fragend an. Warum hatte er vor diesem Haus halt gemacht?
    Eine Dienerin öffnete die Tür. Sie gingen hinein. Die Zimmer waren nicht möbliert. Hanna nahm den Geruch von Malerfarbe wahr, die noch nicht getrocknet war, und von frisch geölten Holzböden.
    »Ich schenke Ihnen dieses Haus«, sagte Senhor Vaz unvermittelt.
    Seine Stimme war sanft, fast verschleiert, und sie ahnte, dass er sehr stolz war auf das, was er ihr anbot.
    »Ich möchte, dass wir hier wohnen«, sagte er. »An dem Tag, an dem Sie bereit sind, mich zu heiraten, verlassen wir meine Zimmer im Hotel und ziehen hierher.«
    Hanna antwortete nicht. Sie ging nur still in dem leeren Haus herum, Senhor Vaz vorsichtig ein paar Schritte hinter ihr.
    Er drängte sie nicht zu einer Antwort, auf die er so sehnlich wartete.
    Als sie zum Hotel zurückkehrten, dachte Hanna wieder, dass sie nie jemandem würde erzählen können, was während ihrer Zeit in Afrika geschehen war. Schon gar nicht, dass ein Mann, der ihr bis zur Schulter reichte und ein Bordell besaß, ihr einen Heiratsantrag gemacht und ihr ein großes Steinhaus mit Garten und Blick aufs Meer hatte schenken wollen. Niemand würde ihr glauben. Alle würden es für eine Lüge oder einen wirren Traum halten. Hanna beschloss, mit Felicia zu sprechen. Vielleicht könnte sie ihr einen Rat geben.
    Ein paar Tage später, als Felicia sich von einem ihrer Stammkunden verabschiedet hatte, einem Bankbeamten aus Pretoria, der bei seinen Besuchen brutal behandelt werden wollte, klopfte Hanna an Felicias Tür. Sie sagte ihr, dass Senhor Vaz ihr einen Heiratsantrag gemacht habe.
    »Ich weiß«, sagte Felicia. »Alle wissen es. Ich glaube, sogar Carlos begreift, was geschieht. Auch wenn er nur ein Schimpanse ist. Er versteht mehr, als man denkt.«
    Ihre Antwort verunsicherte Hanna. Sie war davon ausgegangen, Senhor Vaz habe seinen Antrag mit großer Diskretion präsentiert.
    »Hat er es erzählt? Wem?«
    »Er sagt nie etwas. Das braucht er nicht. Wir verstehen ihn auch so. Aber das weiß er natürlich nicht.«
    Hanna wurde plötzlich unsicher, wie sie fortfahren sollte. Ihr Gespräch war anders verlaufen als erwartet.
    »Senhor Vaz ist ein freundlicher Mann«, sagte Felicia. »Er kann brutal sein, aber er bereut es schnell. Außerdem lässt er uns fast die Hälfte von dem behalten, was wir verdienen. Es gibt in dieser Stadt Bordelle, in denen die Frauen kaum ein Zehntel erhalten.«
    »Wie kommt es, dass er nicht verheiratet ist?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Ist er noch nie verheiratet gewesen?«
    »Auch das weiß ich nicht. Er ist vor über zwanzig Jahren aus Lissabon hierhergekommen, zusammen mit seinem Bruder und seinen Eltern. Der Vater war Kaufmann und arbeitete viel zu hart in der Hitze. Er starb bald nach der Ankunft. Da kehrte die Mutter nach Portugal zurück, während die Brüder blieben. Ein paar Jahre

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