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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Silberschließen hervor, in dem sie die Goldmünzen versteckt hatte, Forsmans Geschenk. Zwischen den Seiten lag eine schwarz-weiße Fotografie. Sie zeigte Berta und sie selbst, aufgenommen in Bernard Dunns Fotoatelier in Sundsvall.

37
     
    Es war Bertas Idee gewesen. Wie immer war sie es, die die verwegensten und überraschendsten Vorschläge machte.
    »Wir wollen uns fotografieren lassen«, hatte sie gesagt. »Bevor du abreist. Ich habe Angst zu vergessen, wie du aussiehst. Angst zu vergessen, wie wir zusammen aussehen.«
    Hanna war beunruhigt. Sie war noch nie bei einem Fotografen gewesen, wusste nicht, wie man sich da verhielt. Aber Berta wehrte ihre Einwände ab. Außerdem hatten sie und Hanna ein kleines Geschenk von Forsman bekommen, ebenso wie alle anderen, die bei ihm arbeiteten. Forsmans Handelsunternehmen hatte sein 25. Jubiläum gefeiert, und da wollte er sich seinen Angestellten gegenüber großzügig erweisen.
    An einem Tag im Frühling, als die Tage länger wurden, hatten sie sich ein paar Stunden freigeben lassen. Der Fotograf Dunn hatte sein Atelier am Marktplatz. Sie hatten ihre Sonntagskleidung angezogen, ihre Schuhe geputzt und standen nun an einem Tisch neben einem Stuhl. Hinter ihnen befand sich eine Gipsstatue, die einen Drachentöter mit erhobenem Schwert darstellte. Der Fotograf, ein Däne, sprach ein sehr schwer verständliches Schwedisch. Er bat Berta, sich auf den Stuhl zu setzen, und Hanna sollte hinter ihr stehen, dicht an Bertas Schulter. Damit das Bild eine Einheit und Harmonie bekam, stellte er eine Vase mit Papierblumen auf den Tisch.
    Die Blumen in Zés Hand, als er sich vor Deolinda verbeugte, hatten die Erinnerung in ihr wachgerufen.
    Sie lag auf dem Bett und schaute sich das Bild an. Sie hatten jeder eine Kopie bekommen. Berta lächelte den Fotografen an, während Hanna ernst aussah. Sie versuchte sich vorzustellen, was Berta getan hätte, wenn sie hier im Obergeschoss eines als Hotel getarnten afrikanischen Bordells auf dem Bett läge. Aber das Bild sprach nicht, Berta war stumm.
    Sie legte die Fotografie auf ihren nackten Oberkörper, der allmählich abkühlte. Das hätte ich nie erwartet, dachte sie. Als Elin sagte, ich müsse zur Küste gehen, um mein Auskommen zu suchen, da hätte ich mir nie träumen lassen, was geschehen würde. Vielleicht war das, was sie jetzt dachte, eine Bestätigung dafür, dass sie erwachsen geworden war? Lag das große Geheimnis darin, dass man nie wusste, was einen erwartete, wenn man das Gewohnte hinter sich ließ?
    Elin kann mich nicht sehen, dachte sie. Berta kann mich nicht sehen, auch meine Geschwister nicht. Ich lebe in einer Welt, die auch mir unbegreiflich ist, obwohl ich tagtäglich hier einschlafe und am Morgen wieder aufwache.
    Bald würde Laurinda mit dem Abendessen auf einem Tablett kommen. Sie hatten vereinbart, dass Laurinda ein Tablett in ihr Zimmer bringen würde, wenn sie nicht an dem abgeschiedenen Tisch auftauchte, den Senhor Vaz ihr zugeteilt hatte. An diesem Abend gab es einen öligen frittierten Fisch, von dem Hanna nur ein Stück hinunterwürgte. Sie versuchte es erneut, schob aber den Teller bald weg und aß die halbe Kokosnuss und die Ananasscheiben, die das Dessert bildeten.
    Als Laurinda zurückkam, um das Tablett zu holen, versuchte Hanna, sie zum Bleiben zu bewegen. Jedes Mal, wenn sie Laurinda sah, bekam sie ein schlechtes Gewissen wegen der Ohrfeige, die sie ihr gegeben hatte. Sie dachte, sie könnte etwas von dem sühnen, was sie getan hatte, indem sie sich freundlich zeigte und mit Laurinda plauderte. Aber es gab auch Augenblicke, in denen sie jemanden brauchte, mit dem sie sprechen konnte. Nach vielen Versuchen hatte sie Laurinda dazu gebracht, nicht nur einsilbig auf ihre Fragen zu antworten. Manchmal konnte sie sogar kleine Erzählungen hervorlocken.
    Aber es war ihr nicht gelungen, Laurinda dazu zu bringen, sich zu setzen. Sie blieb stehen, sie konnte sich nicht vorstellen, in der Nähe einer weißen Frau zu sitzen.
    Schon zu Beginn ihres Aufenthalts im O Paraiso hatte Hanna eine kleine Tätowierung an Laurindas Hals bemerkt, ganz nah am Schlüsselbein. Viele Seeleute auf der Lovisa waren tätowiert. Auch ihr Mann hatte einen Anker mit einer roten Rose auf dem linken Oberarm getragen. Aber sie hatte noch nie eine Tätowierung an einem Schlüsselbein gesehen und sich auch nie eine tätowierte Frau vorstellen können.
    Was die Tätowierung darstellte, hatte sie nicht erkennen können. Vielleicht war es ein

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