Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
einzuschlafen. Aber als sie in der Morgendämmerung erwachte, war der Regen noch genauso stark, und die Straßen waren bereits überschwemmt.
Es regnete vier Tage lang. Als es plötzlich aufhörte, war das Wasser schon bis zum Steinboden des Hotels vorgedrungen. Alle hatten geholfen, Säcke zu nähen und mit Blumenerde und Kieseln zu füllen, aber die verheerende Flut hatte sich kaum aufhalten lassen. Da alle Verbindungen mit dem Inland unterbrochen waren, suchten jetzt nur noch Seeleute das Bordell auf. Senhor Vaz wies sie ab. Es herrsche ein Notzustand und das Bordell sei geschlossen. Ein junger Mann, dessen Uniform der französischen Marine vor Nässe triefte, entgegnete, er selbst befinde sich in einer Notlage. Da erbarmten sich Senhor Vaz und Esmeralda und gewährten ihm Einlass.
Als der Regen einem dampfenden feuchten Nebel gewichen war, füllte sich die Luft mit Insekten. Alle Fenster und Türen wurden geschlossen und die Ritzen abgedichtet. Als der Portier hereinkam, um etwas zu holen, stürzte sich Carlos auf ihn und fraß alle Insekten, die sich auf seinem Körper angesammelt hatten. Die weißen Insekten saßen wie ein Blumenkranz rings um seinen schwarzen Kopf. Und Carlos fraß. Für ihn waren diese Insekten ein lang entbehrter Leckerbissen.
Langsam hielt die Normalität wieder Einzug. Verschlafen traten die Menschen aus der Feuchtigkeit hervor. Ihre Körper dampften, als wäre auch ihr Inneres mit Wasser überflutet. Während des Aufruhrs hatte Senhor Vaz Hanna nicht mit weiteren Fragen belästigt, und sie hatte Zeit zum Nachdenken gehabt. Daran, dass Senhor Vaz es aufrichtig meinte, zweifelte sie nicht. Aber wer war er, der kleine Mann, der seine Haare, seinen Schnurrbart und seine Nägel tadellos sauber hielt, seine Kleider bügelte und manchmal von selbstverachtenden Wutausbrüchen befallen wurde? Er ist ein freundlicher Mann, dachte sie, bestimmt doppelt so alt wie ich. Aber ich empfinde nichts von dem, was ich für Lundmark empfunden habe. Er gibt mir Sicherheit in dieser fremden Welt, aber der Gedanke, ihn zu lieben, ihn in mein Bett zu lassen, ist unmöglich.
Sie hatte sich also entschieden, nein zu sagen, als der Regen aufhörte, die Insekten verschwanden und das Bordell seine Türen wieder öffnete.
Da riss Carlos aus. Eines Morgens war der Affe weg.
Es war schon vorgekommen, dass er sich für ein paar Stunden davonmachte, zu Besuch in einer heimlichen Welt, über die niemand etwas wusste. Andere Schimpansen gab es in der Stadt nicht. Aber manchmal verschlug es Paviane auf der Suche nach Nahrung in die Parks der Stadt. Vielleicht war Carlos bei ihnen?
Diesmal kehrte der Affe nicht zurück. Senhor Vaz schickte alle Frauen des Bordells in die Stadt, um Carlos aufzuspüren. Er setzte einen Finderlohn aus, aber niemand hatte den Affen gesehen, weder als er verschwand noch an seinem jetzigen Aufenthaltsort.
Hanna entdeckte, dass Senhor Vaz trauerte. Zum ersten Mal zerbrach die starre Maske, und er zeigte Besorgnis und Sehnsucht. Hanna war gerührt und spürte die Einsamkeit des Mannes, der ihr einen Antrag gemacht hatte. Umgeben von Frauen, an einem verwirrten Affen hängend, der ihm in die Hände geraten war, als ein Kunde nicht hatte zahlen können, wollte er sie heiraten.
Vielleicht ist Carlos deshalb ausgerissen, dachte sie. Damit ich Senhor Vaz ganz klar und deutlich sehen kann?
Sie dachte, er sei ihrem Vater ähnlich. Elin hatte ihn gepflegt, auf die gleiche Art, wie Senhor Vaz sein Aussehen pflegte. Hanna wusste, dass Senhor Vaz in einem der Räume an der Rückseite des Hauses, wo sie bisher nicht gewesen war, ein Badezimmer besaß, aber nicht zuließ, dass ihn jemand in der emaillierten Badewanne sah.
Lundmark hatte es mit dem Waschen nicht so genau genommen. Hin und wieder hatte es Hanna gestört, wenn er sich verschwitzt zu ihr legte.
Als Carlos verschwunden war, begann sie Senhor Vaz auf eine andere Art zu sehen. Er war vielleicht nicht der, für den sie ihn bisher gehalten hatte.
Eines Tages kam Carlos doch zurück. Hanna erwachte in der frühen Dämmerung von einem Freudenschrei im Erdgeschoss. Als sie sich rasch angezogen und das Zimmer verlassen hatte, entdeckte sie Carlos, die Arme um Senhor Vaz geschlungen, der den Affen umklammerte.
Jemand hatte Carlos ein blaues Band um den Hals geknotet. Wer es gewesen war, konnte niemand beantworten.
Die Flucht des Affen und seine Rückkehr blieben sein Geheimnis. Aber Carlos schien vor allem erstaunt über den Aufruhr und begann zu
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