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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wirklich nach Hause zurückkehren wollte, erleichtert, weil es ihr davor graute, wieder an Bord eines Schiffes zu gehen.
    Als sie das O Paraiso betrat, bemerkte sie sofort, dass Zé nicht an seinem gewohnten Platz am Klavier saß. Aber sie kam nicht dazu, zu fragen, wo er geblieben war, als er schon sein Entrée abhielt. Die Frauen, die untätig auf den Sofas saßen oder über den Billardtisch gebeugt waren, wo sie die Kugeln mit trägen Bewegungen hin und her stießen, brachen in Gelächter und Applaus aus. Er hatte seinen zerknitterten dunklen Anzug gewechselt. Statt der schmutzigen Baskenmütze, die er üblicherweise in den Nacken schob, hatte Zé jetzt einen Panamahut auf dem Kopf, genauso einen, wie man ihn von seinem Bruder kannte. Außerdem trug er ein weißes Hemd mit hohem Kragen und eine schwarze Krawatte, kunstvoll geknotet. In einer Hand hielt er ein paar Papierblumen. Er stellte sich vor die Frau, die Deolinda hieß, aber nie anders als A Magrinha genannt wurde, weil sie so mager war, ganz flachbrüstig, bar aller weiblichen Formen.
    Hanna hatte sie hin und wieder verstohlen betrachtet und sich gefragt, auf welche Weise sie einen Mann verführen konnte. Denn auch ihr Gesicht war nicht hübsch. Hanna dachte, ihre abgemagerte Person strahle Leid und Trauer aus. Aber Deolinda hatte Kunden, das wusste Hanna, das hatte sie selbst gesehen. Ihr war der Gedanke zuwider, sich A Magrinha mit einem der weißen Männer im Bett vorzustellen, die das Bordell frequentierten. Aber irgendetwas hatte sie also, was sie anlockte und ihre Begierde weckte.
    Zé verneigte sich und überreichte ihr seine Papierblumen. Deolinda stand auf, nahm seinen Arm und führte ihn zu ihrem Zimmer, das ganz hinten in dem Korridor lag, in dem die Kunden empfangen wurden. Auf dem Weg folgte ihnen fröhliches Gelächter und erneut Applaus, ehe sich die träge Untätigkeit wieder im Raum breitmachte.
    Es gab ein paar Stunden am späten Nachmittag, an denen im Bordell eigentlich nichts geschah. Selten oder nie zeigten sich Kunden. Die Frauen schlummerten, lackierten sich die Nägel, wechselten vielleicht leise Vertraulichkeiten.
    Außer Felicia sprach keine Hanna an, wenn sie nicht selbst die Initiative ergriff, indem sie eine Frage stellte oder um etwas bat. Senhor Vaz hatte ihr klargemacht, dass die Frauen in seinem Haus nicht nur dazu da waren, die Kunden zu befriedigen, die zu Besuch kamen, sie sollten auch bereit sein, die Gäste zu bedienen, die sein Haus als Hotel nutzen wollten. Sie wusste immer noch nicht, was sie von ihr hielten, sie grüßten, lächelten, kamen ihr aber nicht nahe. Auch verstand sie nicht, was damit gemeint war, dass sie die Pflicht hätten, die Gäste des Hotels zu bedienen. Sie war ja die Einzige, die ein Zimmer gemietet hatte.
    Sie machte es sich in einer Sofaecke neben einer der ältesten Frauen bequem. Sie hieß Esmeralda, hatte ein vogelartiges Gesicht und die längsten Finger, die Hanna je gesehen hatte.
    Es wurde ganz still. Ihr wurde bewusst, dass sie sich zum ersten Mal mit einer der schwarzen Frauen zusammensetzte.
    Sie zeigte auf den Korridor, in dem Deolinda und Zé verschwunden waren.
    »Ein Liebespaar?«, fragte sie.
    Esmeralda nickte. »Ein Liebespaar«, antwortete sie. »Manchmal erwacht eine Sehnsucht in ihm. Dann vergisst er sein Klavier. Das geschieht vielleicht alle zwei Monate einmal. Dann wechselt er die Kleidung, und seine Sehnsucht ist immer auf Deolinda gerichtet.«
    Hanna wollte weiter fragen, nicht zuletzt um sich zu vergewissern, dass sie Esmeraldas Worte richtig verstanden hatte. Aber Esmeralda erhob sich würdevoll und schritt mit anmutig wiegenden Hüften auf ihr Zimmer zu.
    Hanna stand auf und ging die Treppe hinauf. Sie brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass alle neun Frauen ihr mit den Blicken folgten. Sie sehen uns an, wenn wir ihnen den Rücken kehren, dachte sie. Sie fürchten sich nicht, einander in die Augen zu sehen. Aber sie fürchten unsere Blicke, wie wir die ihren fürchten.
    Sie schloss die Tür hinter sich, verriegelte sie und machte ihren Oberkörper frei. Mit einem Leinenlappen, den sie in kaltes Wasser tauchte, wusch sie sich. Dann legte sie sich aufs Bett und schloss die Augen, richtete sich aber gleich wieder auf. Sie hatte sich an etwas erinnert, woran sie nicht gedacht hatte, seit sie Schweden auf dem Schiff verlassen hatte, das jetzt schon längst mit seiner Holzladung in Australien angekommen sein musste.
    Sie holte das Gesangbuch mit den

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