Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
hinlegte und die Petroleumlampe löschte. Aber Carlos öffnete die Tür oder kletterte durch das Fenster herein, wenn sie es offen gelassen hatte. Jeden Morgen saß er da. Es war, als wäre sie es, die in einem Käfig lebte, nicht Carlos.
Schließlich verstand Hanna, dass er sich genauso nach Gemeinschaft sehnte wie sie, nach einer Zugehörigkeit, die das Leben der Schimpansen kennzeichnete. Warum sonst sollten sie sich gegenseitig so unermüdlich das Fell von Ungeziefer freizupfen? Als ihr dies klar wurde, überfiel sie Traurigkeit. Für einen Augenblick sah sie ihre eigene Einsamkeit in der des Affen, setzte sich dann dicht neben ihn und begann, seine Haut nach verborgenen Insekten abzusuchen. Sie konnte sehen, wie er es genoss. Als Carlos dann ihre Dienste erwidern wollte, indem er in ihren Haaren herumzupfte, ließ sie ihn gewähren.
Sie begann, sich und Carlos als ein ungleiches Paar zu betrachten, bei dem der gegenseitige Respekt ständig wuchs, ohne dass sie eigentlich etwas anderes gemeinsam hatten als genau dieses Morgenritual, das sich über Stunden hinziehen konnte.
Während dieser ersten Zeit ihres neuen Lebens als Witwe wurde Hanna erst so richtig bewusst, dass sie zum zweiten Mal in ihrem kurzen Leben den Namen gewechselt hatte. Bei einer rasch vollzogenen Zeremonie in der fernen Stadt Alger war sie von einer Renström zu einer Lundmark geworden. Jetzt war der Name wiederum ersetzt worden, diesmal durch Vaz. Auf allen Papieren, die Anwalt Andrade sie zu lesen und zu unterschreiben bat, stand jetzt, sie heiße Hanna Vaz und sei eine viuva , eine Witwe.
Doch der Gedanke des Witwenstandes, in den sie aufs neue geraten war, berührte sie nicht so sehr wie die Erkenntnis, dass sie eine sehr reiche Frau geworden war. Der Anwalt legte ihr Abrechnungen vor, und die Summen wurden schwindelerregend, wenn sie mühsam englische Pfund, portugiesische Escudos oder amerikanische Dollar in schwedische Kronen umrechnete. Die Vorstellung, dass sie jetzt vermutlich reicher war als Jonathan Forsman, brachte ihren Gleichgewichtssinn ins Wanken. Sie konnte mitten in der Nacht von einem Gefühl aufwachen, dass Geld, klingende Münzen und ungefaltete Scheine, auf ihr Bett hinabregnete. Noch nach einigen Monaten war dieser Reichtum für sie völlig unwirklich. Und das Geld strömte weiterhin herein. Jeden Morgen kam der magere kleine Kassierer Eber, der von einer nach Südafrika eingewanderten deutschen Familie abstammte, mit einer vollgestopften Ledermappe in ihr Haus hinauf. Sie quittierte das Geld, gab Eber die leere Tasche vom Vortag und schloss sich dann im Arbeitszimmer ihres Mannes ein. An einer Wand befand sich ein Tresor, der mit mehreren Schlüsseln geöffnet wurde, die sie an einem Band um den Hals trug. Sie schrieb die Summen in ein Kassenbuch, legte dann die Scheine und Münzen in den Tresor und verschloss ihn. Nicht einmal Carlos durfte im Zimmer sein, wenn sie den Gewinn zählte, den das Bordell abgeworfen hatte.
Einmal im Monat bereitete sie nach den Anweisungen des Kassierers die fälligen Auszahlungen vor. An diesem Tag kam Eber in Gesellschaft zweier portugiesischer Soldaten, die ihn mit der prallen Geldmappe zurück ins Bordell begleiteten.
Niemand kehrte noch als Gast im Hotel ein. Nach ihr hatten die Zimmer entweder leergestanden oder waren von den Huren benutzt worden, wenn ihre eigenen Zimmer nach dem Wüten eines Kunden renoviert werden mussten. Sie fragte sich, ob jemals vor ihr Gäste hier gewohnt hätten. Oder ob das Hotel schon immer eine Art Kulisse der Anständigkeit gewesen sei.
Eines Tages, als sie dabei war, Geld in den Tresor zu legen, entdeckte sie im untersten Regal ein kleines Notizbuch. Es war mit Staub bedeckt, der auf unerklärliche Weise durch die dicht schließende Stahltür gelangt war. Es war leer. Kein einziges Wort stand darin geschrieben. Wahrscheinlich handelte es sich um ein Geschenk einer japanischen Reederei mit dem Heimathafen Yokohama. Nicht selten besuchten japanische Seeleute das Bordell. Sie waren reinlich und höflich, aber bei den Frauen nicht besonders beliebt, da ihre sexuelle Gier so groß war, dass ihre Intensität qualvoll ermüdend werden konnte. Hanna hatte ein Gerücht über einen japanischen Steuermann gehört, der für eine ganze Nacht bezahlt hatte und von dem es hieß, er habe neunzehn Geschlechtsakte durchgeführt. Ob wahr oder nicht, die Japaner waren unermüdlich, und Senhor Vaz musste das Notizbuch als Geschenk oder zur Erinnerung bekommen haben,
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