Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
gab noch eine Frau im Haus, ein junges Mädchen, Tochter der Schneiderin seiner Mutter, wie Attimilio erklärte. Sie trug einen portugiesischen Namen, Julietta, und half Anaka bei allem, was die Ältere nicht schaffte. Hanna schätzte Julietta auf vierzehn oder fünfzehn Jahre.
Hanna erlebte diese Tage wie in einem Dämmerschlaf. Die Hitze war drückend, hin und wieder von heftigen Regenfällen unterbrochen. Meistens saß sie in einem der Zimmer zum Meer hin und ließ den Wind durch die offenen Fenster ziehen. Sie hatte das Gefühl zu warten, ohne zu wissen, worauf. Manchmal wurde sie von einem quälenden Unbehagen befallen, überhaupt nicht gebraucht zu werden. Alles, was in diesem großen Haus geschah, wurde von den schwarzen Dienstboten erledigt. Ihre Aufgabe war es, nichts zu tun.
Attimilio hatte erklärt, sie solle nicht zögern, ganz offen zu sagen, wenn sie mit der Arbeit des Personals unzufrieden war. Hin und wieder sollte sie sich weiße Handschuhe anziehen, im Haus herumgehen und mit den Fingern über Täfelungsleisten und Türrahmen fahren, um zu sehen, ob alles ordentlich abgestaubt war.
»Wenn man nicht hinter ihnen her ist, werden sie schlampig.«
»Aber hier ist es doch immer sauber.«
»Weil du es kontrollierst. An dem Tag, an dem du damit aufhörst, werden sie keine Minute länger gründlich sein.«
Hanna konnte Attimilios ständige Angriffe auf schwarze Menschen weder verstehen noch sich damit versöhnen. Sie sah weiterhin eine Angst in ihm, hinter den harten Worten. Aber ihre Anwesenheit im Haus veränderte seine Lebensweise nicht.
Eines Abends kam er nach einem aufwühlenden Ereignis im Bordell nach Hause: Ein Kunde hatte einen Revolverschuss abgegeben und einer der Frauen einen Streifschuss am Arm verpasst. Nach diesem Bericht brach er in eine heftige Tirade über das Land aus, in dem er lebte.
»Das hier wäre ein guter Kontinent«, rief er. »Wenn es nur nicht all diese schwarzen Menschen gäbe.«
»Aber war es nicht ein weißer Mann, der den Schuss abgefeuert hat?«, wandte Hanna vorsichtig ein.
Senhor Vaz antwortete nicht. Stattdessen entschuldigte er sich und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Durch die geschlossene Tür konnte sie hören, dass er portugiesische Militärmärsche auf seinem Trichtergrammophon spielte. Als sie sich vorbeugte und durchs Schlüsselloch spähte, sah sie ihn wütend im Zimmer herumgehen und einen Säbel schwingen. Sie begann zu kichern. Ihr zweiter Mann glich einem der Zinnsoldaten, mit denen sie Jonathan Forsmans Söhne hatte spielen sehen.
Dann überkam sie wieder die Unruhe. Sie war wie die anderen weißen Frauen in der Stadt geworden: untätig, träge und ständig mit einem Fächer wedelnd.
42
Nachdem er eine Zeitlang vergeblich versucht hatte, den nächtlichen Liebesakt zu vollziehen, näherte sich Attimilio einer grenzenlosen Verzweiflung. Hanna wandte sich wieder an Felicia, diesmal an einem Tag, an dem Senhor Vaz nach Pretoria gefahren war, wo er einen Teil des mit dem Bordell verdienten Geldes investierte. Einmal im Monat kam ein hinkender Anwalt zu Besuch. Sie schlossen sich in Attimilios Büro ein, und Hanna hatte keine Ahnung, worüber dort verhandelt wurde. Der Anwalt namens Andrade sprach so leise, dass Hanna keine Silbe verstand.
Felicia riet ihr, Hilfe bei einem feticheiro zu suchen.
»Es gibt Kräuter und Tees«, sagte Felicia. »Sie heilen Männer, die nicht imstande sind, das zu tun, was sie sich am allermeisten wünschen.«
»Ich kenne keinen feticheiro «, sagte Hanna, »keinen Medizinmann, der mir geben kann, was nötig ist.«
Felicia streckte die Hand aus. »Es kostet Geld«, sagte sie. »Wenn du mir Geld gibst, werde ich beschaffen, was du brauchst. Dann vermischst du das Pulver mit einem Getränk oder einer Speise für ihn. Ich kenne nicht alle Regeln, aber ich weiß, dass es nur dann geschehen soll, wenn Wind aus dem Westen weht.«
Hanna überlegte. »Selten weht der Wind von Westen«, sagte sie.
Felicia dachte lange nach. »Du hast recht«, sagte sie schließlich. »Es ist besser, du wendest es bei Vollmond an. Auch da gibt es den richtigen Zeitpunkt. Ich habe vergessen, dass es hier fast nie vom Inland her weht, nur vom Meer oder vom Eis ganz im Süden. Wir, die hier in Baia da Boa Morte leben, wissen nichts von den Winden aus der großen Savanne.«
Hanna hatte den Namen der Lagune noch nie gehört. Dass der Name der Stadt Lourenço Marques lautete, wusste sie. Attimilio hatte ihr eines Abends erklärt, es
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