Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Schlitten saß, eingepackt in Jonathan Forsmans Pelze, die nach Speck und Hund rochen.
Als sie die Augen aufschlug, dachte sie, sie müsse bald ihren Entschluss fassen. Ob sie bleiben oder nach Hause zurückkehren sollte.
Aber gerade an diesem Tag, an dem sie Julietta ihr Notizbuch gezeigt hatte, wurde Hanna noch von einem anderen Gefühl ergriffen.
Sie bekam Angst. Es war, als drohte ihr Gefahr. Es gab etwas in ihrer Nähe, was sie noch nicht entdeckt hatte.
Eine Gefahr, die wuchs, die sich rasch näherte wie ein dahinjagender Schlitten auf verharschtem Schnee.
45
Nachdem sie begonnen hatte, in ihrem Tagebuch über Senhor Vaz zu schreiben, ließ sie eines Tages die Frauen und alle anderen, die im Bordell arbeiteten, zusammenkommen. Es war früh am Morgen, als das Bordell üblicherweise leer war und die Frauen noch schliefen, nachdem die letzten Kunden abgezogen waren. Die meisten in Pferdekutschen, einige schon in Kraftwagen, die während der Nacht von schwarzen Arbeitern geputzt und poliert worden waren, obwohl sie gegen das Verbot verstießen, sich nachts in der Stadt aufzuhalten. Die Polizei ließ sie gewähren, erhielt sie im Gegenzug doch ein gewisses Recht auf die Frauen in den vielen Bordellen entlang der rua Bagamoio.
Hanna dachte, die frisch polierten Autos, die sich in den frühen Morgenstunden zur südafrikanischen Grenze bewegten, seien ein Zeichen dafür, dass die Bordellbesucher alle Spuren hinter sich auslöschen wollten. Als wären auch die Fahrzeuge von dem Bordellbetrieb beschmutzt. Jetzt fuhren die Männer in das Land, in dem es als moralisch verwerflich und sogar als strafbar galt, wenn weiße Männer mit schwarzen Frauen verkehrten.
Hanna ließ also die Frauen und Wächter unter dem Palisanderbaum im Garten zusammenkommen. Sie hatte Andrade dazugebeten und auch Carlos mitgenommen, ohne seine weiße Kellnerjacke. Er durfte jetzt sein, was er eigentlich war, ein Schimpanse, der aus seiner Horde irgendwo im afrikanischen Inland geraubt worden war. Carlos schien es zunächst zu ängstigen, ins Bordell zurückzukehren. Nachdem er ein paarmal fest auf den Klavierdeckel geschlagen hatte, beruhigte er sich jedoch und setzte sich auf Zés Schoß, wie er es immer gern getan hatte.
Zé schien es kaum bewusst zu sein, dass sein Bruder so plötzlich gestorben war. Er hatte an der Beerdigung teilgenommen, aber keine Anzeichen von Trauer oder Schmerz gezeigt. Er saß am Klavier und fuhr fort, die Saiten zu stimmen, ohne dass sie je die Harmonie erreichten, die er erstrebte.
Hanna sagte einleitend, dass sich im Grunde nichts verändern würde. Als Senhor Vaz’ Witwe würde sie an allen Regeln, Pflichten und Vorteilen festhalten, die ihr Mann eingeführt und damit bewirkt hatte, dass ihr Arbeitsplatz den allerbesten Ruf genoss. Sie würde weiterhin großzügig sein, wenn es darum ging, Urlaub zu genehmigen, und sie würde ebenso wenig wie ihr Mann Kunden dulden, die sich an einer der Frauen vergriffen oder sich auf andere Weise ungehörig benahmen.
Aber alles könne natürlich nicht so bleiben wie bisher, sagte sie am Ende der kleinen Rede, die sie auf Portugiesisch auswendig gelernt hatte, um sicher zu sein, dass sie die Worte und Gedanken nicht durcheinanderbrachte. Sie sei eine Frau. Sie habe nicht die körperlichen Kräfte, die ihr Mann gehabt habe. Sie könne nicht eingreifen, wenn es nötig sei. Sie werde also zwei weitere starke Wächter anstellen, um die Sicherheit der Frauen bestmöglich zu schützen.
Es gebe noch etwas anderes, was sich notwendigerweise ändern müsse, da sie kein Mann war. Ihr würde es leichter fallen, über das zu sprechen, was die Frauen ihrem Mann nicht hätten anvertrauen können. Sie hoffe, dass sie eine andere Nähe zueinander entwickeln würden. Dies sei eine Veränderung, die für alle nur von Nutzen sein könne.
Als sie geendet hatte, herrschte ein tiefes Schweigen. Eine Palisanderblüte fiel schwerelos wie eine Feder zu Boden. Hanna spürte, dass das Schweigen etwas Beunruhigendes enthielt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass jemand etwas entgegnen würde. Aber das Schweigen erschreckte sie. Es war nicht das gewöhnliche Schweigen zwischen Weißen und Schwarzen, es beinhaltete etwas, was sie nicht deuten konnte.
Zum Zeichen, dass die Versammlung beendet war, breitete sie die Hände aus. Niemand musste länger bleiben. Die Frauen nahmen die Stühle und verschwanden im Haus, Judas begann den Hof zu fegen, aber sie winkte auch ihn weg. Zé kehrte zum
Weitere Kostenlose Bücher