Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Bordell anzufangen. Sie schickte sie weg, ohne noch etwas zu sagen.
Am Nachmittag sandte Hanna eine Botschaft an Felicia. Es war nur eine kurze Mitteilung, die sie in einen Umschlag gesteckt und zugeklebt hatte. Hanna wollte nicht, dass der Brief in die falschen Hände geriete. »Ich muss mit dir über Esmeralda reden.«
Felicia kam abends zum Steinhaus hinauf, vor dem noch immer Brandgeruch in der Luft hing. Felicia hatte zu berichten, dass die toten Körper von der Straße verschwunden waren. Der Aufruhr war abgeklungen. Soldaten mit geladenen Gewehren bewachten noch die wichtigsten Durchfahrtstraßen, aber niemand rechnete damit, dass etwas geschehen würde. Im Bordell war es hingegen fast leer.
Felicia setzte sich auf einen Stuhl im Arbeitszimmer, wo Hanna ihr einen zugeklebten Umschlag gab.
»Ich möchte, dass du dem Mädchen Nausica diesen Umschlag gibst«, sagte sie.
»Nausica ist ein vierzehnjähriges Mädchen, das nicht lesen kann.«
»Der Brief enthält nichts Geschriebenes. Ich gebe ihr Geld. Für die Beerdigung ihres Vaters und einen neuen Wasserkrug.«
Felicia zögerte, ehe sie den Brief entgegennahm und unter ihre Bluse steckte. Vielleicht dachte sie, sie werde einem Test ihrer Ehrlichkeit unterzogen.
Aber sie sagte nichts über diesen Gedanken, sondern begann, über Esmeralda zu reden. Esmeralda war im Alter von ungefähr zwanzig ins Bordell gekommen. Wo Senhor Vaz sie aufgetrieben hatte, wusste Felicia nicht. Damals war Esmeralda eine der Favoritinnen der Männer gewesen, jahrelang die Begehrteste.
Hanna wollte etwas über Esmeraldas Leben außerhalb des Bordells wissen.
»Sie ist verheiratet und hat fünf Kinder. Und zwei, die gestorben sind. Von den Lebenden sind es vier Mädchen und ein Junge. Er ist der Jüngste und heißt Ultimo. Ihr Mann heißt Pecado und lebt davon, Vögel zu verkaufen, die er in Netzen fängt.«
»Wo wohnen sie?«
»In einem Haus in Jardim.«
»Wo der Aufstand begann?«
»Wo alle Aufstände beginnen. Dort oder in Xhipamanhine.«
»Wie ist das Haus?«
»Wie alle anderen Häuser.«
»Was bedeutet das?«
»Undicht, zusammengeflickt, aus dem gebaut, was Herr Pecado auftreiben konnte.«
»Bist du da gewesen?«
»Nein. Aber ich weiß es trotzdem.«
Hanna dachte über das nach, was Felicia gesagt hatte. Immer noch entglitt ihr alles auf seltsame Weise.
»Wozu rätst du mir?«, fragte sie schließlich.
Felicia hatte offenbar die Frage erwartet. Aus einer Rocktasche holte sie ein paar kleine Glasbehälter heraus. Sie waren mit Wasser gefüllt, in dem weiße Würmer schwammen.
»Ich finde, Esmeralda sollte die Möglichkeit bekommen, ihr Fett loszuwerden und wieder gefragt zu sein. Sie wird es schaffen. Sie weiß schon, dass sie ihren Platz auf einem der Sofas nicht mehr verdient.«
Felicia übergab Hanna die Glasbehälter. Im selben Moment kam Carlos lautlos ins Zimmer. Er kletterte auf den hohen Schrank, in dem Senhor Vaz seine Anzüge und Hemden und Krawatten aufbewahrt hatte. Regungslos betrachtete er die beiden Frauen und die Gläser.
»Das sind Bandwürmer«, sagte Felicia. »Ich habe sie bei einer feticheira besorgt, die am besten in der Stadt weiß, wie Menschen abnehmen können. Esmeralda muss nur einen dieser Würmer in ein Glas Milch tun und es austrinken. Er wird dann in ihrem Körper wachsen, vielleicht bis zu fünf Meter lang werden und fast alles von dem verschlingen, was Esmeralda isst. In kurzer Zeit wird sie wieder dünner geworden sein. Die meisten Würmer brauchen Jahre, um zu wachsen. Aber nicht diese Sorte.«
Hanna betrachtete die weißen Würmer mit äußerstem Unbehagen. Aber sie wusste, dass es so werden würde, wie Felicia es gesagt hatte. Vor allem wollte sie nicht, dass Julietta bei den weißen Männern landete, die die Frauen im Bordell mit überheblicher Verachtung behandelten.
Tags darauf, als die letzten Spuren des Aufruhrs getilgt, die Straßen gefegt und die Patronenhülsen aufgelesen worden waren, hatte Hanna ein Treffen mit Herrn Eber. Sie wechselte auch ein paar Worte mit Felicia, die erzählte, Esmeralda habe am gestrigen Abend die Milch mit dem Wurm getrunken.
Als Hanna zur Haustür ging, warf sie zufällig einen Blick auf den Innenhof mit dem Palisanderbaum, vor dem Esmeralda kniete.
Hanna dachte, dass etwas um diesen Baum herum geschah, was sie nicht verstand. Sie konnte auch niemanden danach fragen. Ihre weißen Freunde würden es ebenso wenig begreifen. Die Schwarzen würden ihr eine unklare Antwort geben.
Es gab
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