Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
gewisses Maß an Genugtuung, Pandres Wahl bedeutete, dass die Kosten für seinen Besuch sich verringerten, denn A Magrinha war nahezu ein Verlustgeschäft für das Bordell. Möglicherweise war der Zeitpunkt gekommen, ein letztes Gespräch mit ihr zu führen, Herrn Eber zu bitten, das Geld auszuzahlen, das für einen Gemüsestand auf einem der Märkte der Schwarzen reichen würde, und sie danach aufzufordern, das Bordell zu verlassen.
Weiter kam sie in ihren Gedanken nicht, ehe etwas Unerwartetes ihre Aufmerksamkeit erregte. An diesem Abend befanden sich viele verschiedene Kunden im Haus. An dem kleinen Tresen in einer Ecke drängten sie sich mit Gläsern und Zigarren. Gerade als Pandre mit A Magrinha zu ihrem Zimmer gehen wollte, stellte sich ein hochgewachsener Mann vor sie hin und versperrte ihnen den Weg. O’Neill, der immer Gefahr witterte, erhob sich rasch von seinem Platz neben der Tür. Ana tat dasselbe. Der Mann, der sich vor Pandre gestellt hatte, hieß Rocha, hatte einen italienischen Vater und eine portugiesische Mutter. Er arbeitete in der kolonialen Verwaltung, zuständig für den Unterhalt von Straßen und Kanalisation. Er besuchte das Bordell einmal pro Woche und war meist friedlich, aber gelegentlich kam es vor, dass er aufbrauste, wenn er zu viel getrunken hatte. Dann wurde er hinausgeleitet, ehe er irgendeinen Schaden anrichten konnte.
Instinktiv ahnte Ana, dass jetzt etwas bedeutend Ernsteres geschah: Rocha schob A Magrinha zur Seite und begann, auf Pandre in gebrochenem Englisch einzureden.
»Ich habe sie auserwählt, den Abend mit mir zu verbringen«, sagte Rocha.
»Das fällt mir schwer zu glauben«, antwortete Pandre, ohne sein freundliches Lächeln zu verlieren.
»Um es so zu sagen, wie es ist, haben alle Frauen bereits Kunden für den Abend und die Nacht. Du bist zu spät gekommen.«
Ana, die sich genähert und den Wortwechsel gehört hatte, wusste sofort, was es bedeutete. Sie hatte bemerkt, dass viele der weißen Kunden reagiert hatten, als ein farbiger Mann ins Bordell kam. Während ihrer Zeit war das noch nicht vorgekommen. Aber Senhor Vaz hatte erzählt, dass er gelegentlich eine Ausnahme für einflussreiche Inder aus Durban und Johannesburg gemacht hatte. Da niemand offen protestiert hatte, dachte sie, der Unwille würde sich später zeigen und gegen sie richten, wenn Pandre das Bordell verlassen hatte. Dann würde vielleicht jemand fragen, was ihr einfiele, eine solche Person in ihre Gesellschaft einzulassen. Und sie würde erklären, dass es immer noch sie war, die bestimmte, wer abgewiesen werden sollte und wer nicht. Es würde schlecht aufgenommen werden, das wusste sie. Wie sehr sie auch beteuerte, es sei eine Ausnahme gewesen.
Die Gespräche waren verstummt, alle hatten ihre Aufmerksamkeit auf die beiden Männer und Deolinda gerichtet, der kaum bewusst war, was um sie her geschah.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Ana.
»Eigentlich nicht«, antwortete Pandre. »Dieser Mann steht nur in unserem Weg. Wir wollten uns gerade zurückziehen.«
»Er hat sich die Frau genommen, die ich für den Abend gewählt habe«, sagte Rocha.
Ana sprach er auf Portugiesisch an. Als Rocha übersetzen wollte, hob Pandre abwehrend eine Hand. Er hatte alles verstanden.
Rocha zog A Magrinha fest an sich, um zu bekräftigen, was er gesagt hatte. Im nächsten Augenblick hatte Pandre sich die Frau rasch zurückgeholt. Aber bevor Rocha oder Ana reagieren konnten, war A Magrinha aus ihrem traumwandlerischen Zustand erwacht. Sie stieß Pandre weg und stellte sich neben Rocha.
»Er wird heute Abend bei mir sein«, sagte sie. »Nicht dieser braune Mann.«
Pandres Lächeln erlosch, als wäre eine Flamme ausgeblasen worden. Er wandte sich an Ana, die seine Wut erkannte. »Ich bestehe darauf, dass ich meine Wahl getroffen habe«, sagte er mit gepresster Stimme.
»Das ist auch meine Auffassung«, erwiderte Ana und gab A Magrinha ein Zeichen, zu Pandre zurückzukehren.
»Ich will nicht«, entgegnete Deolinda. »Er ist braun.«
»Und du bist schwarz«, sagte Ana. »Ich bin weiß. Und ich bestimme, was du tun sollst.«
»Nein«, entgegnete A Magrinha. »Ich will mich nicht vor ihm ausziehen.«
Rocha lächelte. O’Neill war einen Schritt vorgetreten, falls ein Handgemenge ausbrechen sollte. Aber Pandre gab auf. Ana spürte, dass er nicht resigniert hatte und dass seine Wut noch da war. Aber er wusste, dass die Situation unmöglich war.
Er wollte nicht mehr.
»Ich kehre ins Hotel zurück«, sagte er.
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