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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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werden«, sagte Pandre mit freundlicher Stimme. »Nur so kann sie ihre Leiden ausdrücken, und für mich ist es die beste Art, die richtigen Fragen zu stellen und klare Antworten zu geben.«
    »Ich komme trotzdem mit«, sagte der Kommandant. »Es interessiert mich zu sehen, ob Sie sie überhaupt zum Sprechen bringen. Bisher war sie völlig ohne Stimme. Vielleicht ist sie ohne Stimmbänder geboren? Ich weiß nicht einmal, ob ihre Stimme hell oder dunkel ist.«
    »Sie ist dunkel«, sagte Ana. »Ich verstehe, was sie in ihrer Stammessprache zueinander sagen. Ich kann übersetzen.«
    Pandre sah sie flüchtig an. Er begriff, was sie vorhatte, und betrachtete sie zum ersten Mal mit echter Wertschätzung.
    Sie gingen die Steintreppe hinunter in den Keller der Festung. Ein schläfriger Soldat richtete sich schnell auf, stand stramm und schloss das Gitter vor der Eisentür auf.
    Der Kommandant wandte sich an Pandre. »Ich gehe davon aus, dass sich keine Waffen in Ihrer Tasche befinden«, sagte er. »Weder um die Gefangene des Lebens zu berauben, noch um sie zu befreien.«
    Pandre öffnete die Ledermappe und zog das Stethoskop heraus, das Ana sich vorgestellt hatte. Aber wie hatte er es sich beschafft? Er hat sich gut vorbereitet, dachte sie. Vielleicht ist er der richtige Mann, um Isabel zu helfen.
    Sie traten in das Dunkel ein, wo die stickige Luft ihnen den Atem nahm. Ein unrasierter, halbnackter weißer Mann rüttelte an seinem Gitter, als sie vorbeikamen.
    »Er soll in eine Nervenheilanstalt überführt werden«, sagte der Kommandant. »Er bildet sich ein, er habe ein großes Insekt im Bauch, das ihn von innen auffrisst. Er hat einen Mann zu Tode misshandelt, der sich weigerte, ihm zuzuhören, als er ihm vom unersättlichen Hunger des Insekts erzählte.«
    Pandre hörte sich aufmerksam und höflich an, was der Kommandant zu sagen hatte. Es schien, als hätte er sich schnell an die stickige Luft gewöhnt. Vielleicht gibt es in der Stadt und dem Land, aus dem er kommt, ähnliche Gefängnisse, dachte Ana.
    Sie gingen weiter, vorbei an einer Zelle, in der ein Mann lag und schlief, auf dem Boden ausgestreckt, nach Luft japsend.
    »Ein Spanier namens Mendoza«, sagte der Kommandant, der sie weiter durch das Dunkel führte. »Er hat seinen Bruder auf einem Küstenschiff erschlagen und versucht jetzt, sich selbst zu bestrafen, indem er nichts mehr isst. Auch er gehörte in eine Nervenheilanstalt, aber man weigert sich dort, ihn aufzunehmen. Wahrscheinlich ist er in ein paar Tagen tot. Meine Soldaten wetten darauf, wie lange er noch leben wird. Mir gefällt das nicht. Aber ich kann es ihnen nicht verbieten.«
    Sie traten in Isabels Zelle ein. Ana sah, dass der Korb leer war. Isabel saß regungslos auf der Pritsche.
    »Die Gefangene hat Besuch«, brüllte der Kommandant.
    Isabel rührte sich nicht. Pandre strich vorsichtig über den Arm des Kommandanten, um ihn davon abzuhalten, sein Gebrüll zu wiederholen. Dann ging er zu Isabel und setzte sich neben sie. Ana stellte sich an die Seite der Pritsche, während der Kommandant an der halbgeöffneten Tür stehenblieb. Was Pandre zu Isabel sagte, konnte Ana nicht verstehen. Aber Isabel horchte sofort auf, als der Anwalt sie anredete, und antwortete in ihrer eigenen Sprache.
    Der Kommandant rasselte plötzlich ungeduldig mit seinem Säbel. Ana trat einen Schritt auf ihn zu und erzählte ihm eine Geschichte, die sie beim Sprechen erfand.
    »Sie reden über ihre Kinder«, sagte sie. »Sie reden über ihre große Trauer darüber, dass sie von ihrem Mann betrogen wurde. Ihre Reue ist groß über das, was sie getan hat. Sie erzählt ihm, dass sie diesen Kerker verlassen und in einer der Missionsstationen der Weißen arbeiten will, die den richtigen Glauben unter der schwarzen Bevölkerung verbreiten.«
    Ana brachte ihre erfundenen Wahrheiten möglichst überzeugend hervor. Der Kommandant hörte ihr mit ausdruckslosem Gesicht zu. Eigentlich interessiert es ihn nicht, dachte sie. Für ihn ist Isabel nichts. Es hat keine Bedeutung, ob sie überlebt oder nicht. Er ist nur mitgekommen, weil er sich langweilt.
    Sie fuhr fort, ihre Geschichte auszuschmücken, während Pandre und Isabel leise miteinander redeten. Als das Gespräch abrupt aufhörte, als wäre alles gesagt, rundete Ana ihre Geschichte damit ab, dass sie Worte über Isabels Sehnsucht, in einer christlichen Missionsstation zu arbeiten, wiederholte.
     
    Als sie zum Hotel zurückgekehrt waren, ließen sie sich im Schatten unter

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