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Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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wegräumte, begegnete mir ein Wasserstrahl, der mit Hochdruck aus einem schadhaften Rohr hinten in der Mauer schoss. Ich knebelte es notdürftig mit Lappen, um Zeit für die Rettung der Bücher zu gewinnen. Das Getöse des Regens und das Heulen des Windes im Park wurden heftiger. Ein geisterhafter Blitz und gleichzeitiger Donner erfüllten die Luft mit starkem Schwefelgeruch, die Windsbraut drückte die Scheiben der Balkontüren ein, und eine ungeheure Böe vom Meer brach die Riegel auf und drang ins Haus. Nach kaum zehn Minuten klarte es jedoch plötzlich auf. Eine strahlende Sonne trocknete die mit Schutt und Trümmern übersäten Straßen, und die Hitze kehrte wieder ein.
    Als das Unwetter vorüber war, hatte ich immer noch das Gefühl, nicht allein im Haus zu sein. Ich konnte es mir nur so erklären, dass genau wie man reale Begebenheiten vergisst, auch solche, die nie stattgefunden haben, erinnert werden können, als seien sie gewesen. Denn wenn ich mich an die Notlage bei dem Unwetter erinnerte, dann sah ich mich nicht allein im Haus, sondern immer in Begleitung von Delgadina. Ich hatte sie in der Nacht so nah gespürt, dass ich den Hauch ihres Atems im Schlafzimmer wahrnahm und das Pochen ihrer Wange auf meinem Kopfkissen. Erst jetzt begriff ich, warum wir in so kurzer Zeit so viel hatten schaffen können. Ich sah mich auf dem Schemel in der Bibliothek stehen und sie, nun wach in ihrem Blümchenkleid, die Bücher entgegennehmen und in Sicherheit bringen. Ich sah sie gegen den Sturm ankämpfend hin und her rennen, triefend nass, bis zu den Knöcheln im Wasser. Ich erinnerte mich daran, wie sie am nächsten Tag das Frühstück bereitete, das es nie gegeben hat, und den Tisch deckte, während ich die Böden trockenwischte und wieder Ordnung im schiffbrüchigen Haus herstellte. Nie werde ich ihren düsteren Blick beim Frühstück vergessen: Warum hast du mich erst kennen gelernt, als du schon so alt warst? Ich sagte die Wahrheit: Man ist nicht so alt, wie man ist, sondern so alt, wie man sich fühlt.
    Von da an hatte ich sie so deutlich vor mir, dass ich mit ihr machte, was ich wollte. Ich änderte ihre Augenfarbe je nach meiner Stimmung: Wasserfarben beim Aufwachen, sirupfarben, wenn sie lachte, glutfarben, wenn ich sie verstimmte. Ich kleidete sie gemäß dem Alter und den Rollen ein, die meinen wechselnden Launen entsprachen: verliebte Novizin mit zwanzig, Salondirne mit vierzig, Königin von Babylon mit siebzig und Heilige mit hundert. Wir sangen Liebesduette von Puccini, Boleros von Agustin Lara, Tangos von Carlos Gardel und stellten wieder einmal fest, dass wer nicht singt, sich gar nicht vorstellen kann, was für ein Glück es ist zu singen. Heute weiß ich, das war keine Halluzination, sondern ein weiteres Wunder der ersten Liebe meines Lebens mit neunzig Jahren.
    Als das Haus wieder in Ordnung war, rief ich Rosa Cabarcas an. Heiliger Himmel, jubelte sie, als sie meine Stimme hörte, ich dachte schon, du wärst ertrunken. Sie konnte nicht begreifen, dass ich weder die Nacht mit der Kleinen verbracht hatte, ohne sie anzurühren. Du hast alles Recht der Welt, sie nicht zu mögen, aber benimm dich wenigstens wie ein Erwachsener. Ich versuchte es zu erklären, aber sie wechselte einfach das Thema: Wie dem auch sei, ich habe ein etwas älteres Mädchen für dich ausgeguckt, sie ist schön und ebenfalls Jungfrau. Ihr Vater will sie für ein Haus eintauschen, aber man kann über einen Preisnachlass reden. Mir gefror das Herz. Das fehlte gerade noch, protestierte ich erschrocken, ich will dieselbe, und so wie immer, ohne Scheitern, ohne Streit, ohne schlechte Erinnerungen. Die Leitung blieb eine Weile stumm, und schließlich hörte ich die ergebene Stimme, mit der sie zu sich selbst sagte: Nun ja, hier handelt es sich wohl um das, was die Ärzte Altersdemenz nennen.
    Ich ließ mich um zehn Uhr nachts von einem Chauffeur hinfahren, der für die seltene Tugend, keine Fragen zu stellen, bekannt war. Ich hatte einen tragbaren Ventilator dabei und ein Bild von Orlando Rivera, dem lieben Figurita, sowie einen Hammer und einen Nagel, um es aufzuhängen. Auf der Fahrt ließ ich den Chauffeur anhalten und kaufte Zahnbürsten, Zahnpasta, Duftseife, Agua de Florida und Lakritzbonbons. Ich wollte auch eine ordentliche Vase und einen Strauß gelber Rosen mitbringen, um den Fluch der Papierblumen zu bannen, aber kein Geschäft war offen, sodass ich aus einem Garten einen Strauß eben erst erblühter Astromelien klauen

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