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Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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nie erlebt, und ich konnte mir kein ent-mutigenderes Symptom meines Alters vorstellen. Es war eine Viererpatrouille, befehligt von einem kaum erwachsenen Offizier. Die Soldaten waren Männer vom Land, dunkel und schweigsam, und sie rochen nach Stall. Der kommandierende Offizier hatte die vergoldeten Wangen eines Hochländers, der sich am Strand aufhält. Nachdem er meinen Personalausweis und meine Pressekarte überprüft hatte, fragte er mich, was ich in dem Korb hätte. Eine Katze, sagte ich. Er wollte sie sehen. Vorsichtig, damit sie mir nicht entwischte, hob ich den Deckel, doch einer der Soldaten wollte nachsehen, ob unten im Korb nicht noch etwas anderes war, und die Katze kratzte ihn. Der Offizier griff ein. Das ist ja ein Juwel aus Angora, sagte er. Er streichelte sie, murmelte dabei etwas, und die Katze blieb friedlich, zeigte aber keine Reaktion. Wie alt ist sie denn? Ich weiß nicht, sagte ich, ich habe sie gerade eben geschenkt bekommen. Ich frage nur, weil man ihr ansieht, dass sie sehr betagt ist, zehn Jahre vielleicht. Ich hätte ihn gern gefragt, woher er das wisse, und noch vieles mehr, doch trotz seiner guten Manieren und seiner blumigen Sprache war ich außerstande, mit ihm zu sprechen. Ich glaube, das ist eine ausgesetzte Katze, die viel durchgemacht hat, sagte er. Sie sollten sie beobachten, zwingen Sie ihr nichts auf, richten Sie sich vielmehr nach ihr, lassen Sie das Tier einfach in Ruhe, bis Sie sein Vertrauen gewonnen haben. Er schloss den Korbdeckel und fragte mich: Was sind Sie von Beruf? Ich bin Journalist. Seit wann? Seit einem Jahrhundert, sagte ich. Zweifelsohne, meinte er. Er drückte mir die Hand und verabschiedete sich mit einem Satz, der sowohl ein guter Rat als auch eine Drohung sein konnte:
    »Passen Sie gut auf sich auf.«
    Gegen Mittag hängte ich das Telefon aus, weil ich Zuflucht in der Musik suchte, ein exquisites Programm: Wagners Rhapsodie für Klarinette und Orchester, die Saxophon-Rhapsodie von Debussy und eines der Streichquintette von Bruckner, eine Oase der Ruhe im Erdbeben seines Werks. Und auf einmal hüllte mich die Finsternis im Arbeitszimmer ein. Ich spürte, wie etwas unter den Tisch schlüpfte, kein lebendiger Körper, sondern eine übernatürliche Erscheinung schien meinen Fuß zu streifen. Ich sprang mit einem Schrei auf. Es war die Katze mit ihrem schönen aufgestellten Schwanz, ihrer geheimnisvollen Trägheit und ihrer mythischen Herkunft, und ich konnte mich eines Schauders nicht erwehren, weil ich mit einem nicht menschlichen Lebewesen allein im Haus war.
    Als es von der Kathedrale sieben schlug, stand ein einziger, klarer Stern am rosenfarbe-nen Himmel, ein Schiff tutete seinen trostlosen Abschied, und ich spürte in der Kehle den gordischen Knoten all jener Lieben, die hätten sein können, aus denen aber nichts geworden war. Ich hielt es nicht länger aus und griff nach dem Telefonhörer. Das Herz klopfte mir im Hals, als ich ganz langsam, um mich nicht zu vertun, die vier Nummern wählte und nach dem dritten Schrillen die Stimme erkannte. Mit einem Seufzer der Erleichterung sagte ich: Nichts für ungut, verzeih mein Gequengel von heute morgen. Sie war ganz ruhig: Keine Sorge, ich habe schon auf deinen Anruf gewartet. Ich instruierte sie: Die Kleine soll mich so erwarten, wie Gott sie geschaffen hat, und ohne Schminke im Gesicht. Ich hörte ihr kehliges Lachen. Dein Wunsch ist mir Befehl, sagte sie, aber du bringst dich um den Genuss, sie nach und nach auszuziehen, wie es die Alten so gerne tun, wer weiß warum. Ich weiß es, sagte ich, weil sie mit jedem Mal älter werden. Sie nahm es hin.
    »Also gut«, sagte sie, »heute Nacht, Punkt zehn Uhr, bevor das Fischlein kalt ist.«

3
    Wie sie wohl hieß? Rosa Cabarcas hatte es mir nicht gesagt. Wenn sie von ihr redete, sagte sie nur: la niña, die Kleine. Und ich hatte das Wort zum Vornamen gemacht, es war ja auch eine andere Bezeichnung für die Pupille und der Name der dritten Karavelle. Im Übrigen hießen bei Rosa Cabarcas die Mädchen für jeden Freier anders. Ich belustigte mich damit, vom Gesicht her auf den Namen zu schließen, und war von Anfang an sicher, dass die Kleine einen langen hatte, so etwas wie Filomena, Saturnina oder Nicolasa. Darüber grübelte ich gerade, als sie sich auf dem Bett umdrehte und mir den Rücken zuwandte, wobei es mir so erschien, als habe sie eine Blutlache in der Größe und Gestalt ihres Körpers hinterlassen.
    Ein plötzlicher Schreck, bis ich feststellte, dass das

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