Erinnerung Des Herzens
eintauchen. Bitte, seien Sie so lieb, Julia, und holen Sie mir ein Kleid aus dem Badehaus.« Kopfüber sprang sie in das dunkle Wasser.
Julia gehorchte leicht verwirrt und zugleich amüsiert. Sie wählte ein bodenlanges, warmes Kleid aus blauem Samt aus.
Sie gab es Eve, zusammen mit einem passenden Handtuch, als sie aus dem Swimmingpool kam und sich wie ein Hund schüttelte. »Himmel, nichts läßt sich damit vergleichen, nackt unter dem Sternenhimmel zu schwimmen.« Fröstelnd schlüpfte sie in das Kleid. »Außer, man schwimmt mit einem Mann zusammen nackt unter dem Sternenhimmel.«
»Tut mir leid, da kann ich nicht mitreden.«
Mit einem langen, zufriedenen Seufzer ließ sich Eve in ihren Sessel sinken und hob ihr Glas. »Glauben Sie mir, Julia, ein paar von ihnen sind es wert.«
»Vielleicht«, erwiderte Julia.
»Warum haben Sie nie den Namen von Brandons Vater preisgegeben?«
Das war ein Überraschungsangriff, dachte Julia, aber sie war nicht eigentlich verärgert, eher der Sache überdrüssig. »Ich habe es nicht getan, um Brandons Vater zu schützen. Er war es nicht wert. Aber meine Eltern waren es.«
»Und Sie haben sie sehr geliebt.«
»Ich habe sie genügend geliebt, um ihnen nach Möglichkeit jeden Schmerz zu ersparen. Natürlich konnte ich damals noch nicht ganz verstehen, was es für sie bedeutet haben mag, als ihre siebzehnjährige Tochter ihnen erklärte, dass sie schwanger war. Aber sie haben weder geschimpft noch gezetert, mich weder verurteilt noch getadelt, sie machten nur sich selber Vorwürfe. Als sie mich nach dem Vater fragten, wusste ich, dass ich es ihnen nicht sagen konnte, um sie nicht noch mehr zu verletzen.«
Eve wartete einen Augenblick. »Sie haben nie mit irgendjemandem darüber sprechen können?«
»Nein.«
»Jetzt kann es ihnen nichts mehr antun, wenn Sie darüber sprechen, Julia. Wenn es irgendjemanden auf der Welt gibt, der nicht das Recht hat, das Verhalten einer anderen Frau zu verurteilen, dann bin ich es.«
Julia war weder auf Eves Vorschlag noch auf ihren eigenen brennenden Wunsch, darauf einzugehen, vorbereitet. Es war der richtige Zeitpunkt, der richtige Ort und die richtige Frau, sagte sie sich.
»Er war Rechtsanwalt. Mein Vater stellte ihn ein, als er gerade die Höhere Anwaltschaft erworben hatte. Er glaubte, dass Lincoln eine große Begabung fürs Strafrecht besaß. Und obwohl mein Vater es nie zugegeben hätte, hatte er sich doch immer einen Sohn gewünscht, einen, der dem Namen Summers im Justizwesen weiter Ehre erweisen würde.«
»Und dieser Lincoln erfüllte die notwendigen Voraussetzungen?«
»Oh, hervorragend. Er war gleichzeitig ehrgeizig und idealistisch, fleißig und mit Leib und Seele bei der Sache. Mein Vater war sehr erfreut darüber, dass sein Schützling so gute Fortschritte machte.«
»Und Sie?« fragte Eve. »Zog dieser Ehrgeiz und Idealismus auch Sie in den Bann?«
Julia dachte einen Augenblick nach, dann lächelte sie. »Ich habe damals abends nach der Schule und am Samstag einige Büroarbeit für meinen Vater erledigt. Er fehlte mir nach der Scheidung, und das war eine Möglichkeit, mehr mit ihm beisammen zu sein. Aber dann verbrachte ich die meiste Zeit mit Lincoln.«
Wieder lächelte sie. Wenn sie so zurückdachte, fiel es ihr schwer, das junge Mädchen zu verurteilen, das so hungrig nach Liebe gewesen war.
»Er war ein bemerkenswerter Mann. Immer elegant, groß und blond, mit einer Spur von Traurigkeit in den Augen.«
Eva lachte leicht. »Nichts ist verführerischer für eine Frau, als diese Spur von Traurigkeit in den Augen eines Mannes.«
Zu ihrem Erstaunen musste auch Julia lachen. Seltsam, ihr war nie zu Bewusstsein gekommen, dass etwas, das so tragisch zu sein schien, im Laufe der Zeit auch eine heitere Seite ans Licht bringen konnte. »Es erinnerte mich an Byron«, sagte sie und lachte wieder. »Und natürlich machte der Altersunterschied alles noch viel aufregender und dramatischer. Er war vierzehn Jahre älter als ich.«
Eve riss die Augen auf und atmete tief aus. Dann sagte sie: »Du lieber Himmel, Julia, Sie hätten sich wirklich schämen sollen, den armen Teufel zu verführen. Ein siebzehnjähriges Mädchen ist reines Gift.«
»Ich war unsterblich verliebt«, sagte Julia. »Verliebt in diesen schneidigen, tüchtigen, verdienstvollen älteren Mann.
Übrigens war er verheiratet«, fügte sie hinzu. »Aber natürlich war die Ehe nicht mehr intakt.«
»Natürlich«, erklärte Eve trocken.
»Es fing damit an, dass er
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