Erinnerung Des Herzens
die Aufgaben der Eltern für eine völlig natürliche Angelegenheit halten. Es war eine unglaublich harte, anstrengende und schwierige Arbeit. Wenn er auch nur einen einzigen Abend Ersatzvater spielte, so war er doch schon nach der Hälfte der Zeit so erledigt, als hätte er den Marathonlauf von Boston auf einem Bein zurückgelegt.
»Kannich ...«
Paul hob nur eine Braue, bevor Dustin weitersprechen konnte. »Kind, wenn du noch irgend etwas ißt, platzt du.«
Dustin schlürfte seine Riesencola und grinste. »Wir haben noch kein Popcorn gehabt.«
Das war aber auch das einzige, was sie ausgelassen hatten, dachte Paul. Die Jungen mussten Mägen aus Stahl besitzen. Er schaute zu Brandon hinunter, der seine Lakers-Mütze in den Händen hielt und das Autogramm studierte, das er ergattert hatte, bevor das Spiel anfing. Er blickte hoch, wurde rot und setzte die Mütze wieder auf.
»Das ist der schönste Abend in meinem ganzen Leben«, sagte er mit einer Unbefangenheit und Sicherheit, die Männer nur kurze Zeit, in ihrer Kindheit, besitzen.
War das ein Marshmallow fürs Herz, fragte sich Paul. Jedenfalls wirkte es so. »Kommt. Wir holen Popcorn.«
Mit klebrigen Fingern und wachen Augen beobachteten sie die letzte Spielhälfte. Der Spielstand änderte sich ständig, was Gefühlsausbrüche bei der Zuschauermenge und bei den Spielern hervorrief. Ein Ball verfehlte das Ziel, ein anderer prallte am Korb ab, und der Geräuschpegel schwoll bedrohlich an. Ein Zweikampf in der Arena endete mit einem Hinauswurf.
»Er hat ihn behindert!« rief Brandon und verlor vor Aufregung einiges von seinem Popcorn. »Habt ihr es gesehen?« Voller Leidenschaft kletterte er auf seinen Sitz, als die Buhrufe der Zuschauer ertönten. »Sie haben den Falschen rausgeworfen.«
Paul beobachtete, wie der Junge auf dem Sitz auf und ab sprang und den Laker-Wimpel wie eine Axt niederfahren ließ.
»Scheiße«, sagte er, dann fuhr er zusammen und warf Paul einen verlegenen Blick zu.
»Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.«
Brandon war stolz. Er hatte Scheiße gesagt und war wie ein Mann behandelt worden. Er war außerordentlich froh, dass seine Mutter nicht dabei war.
Julia arbeitete noch. Mit Hilfe von Tonbändern und Abschriften befand sie sich in den vierziger Jahren nach dem Kriege, als in Hollywood die hellsten Sterne geglitzert hatten und Eve sich ihren Weg wie ein Komet gebahnt hatte. Oder, wie Charlotte Miller es formuliert hatte, wie ein skrupelloser, ehrgeiziger Piranha, der mit Vergnügen die Mitbewerber verschlungen hatte.
Keine Spur von Liebe, dachte Julia amüsiert, als sie sich zurücklehnte. Charlotte und Eve hatten sich oft um dieselben Rollen bemüht und waren oft von den gleichen Männern angeschwärmt worden. Zweimal waren sie beide für den Oscar vorgeschlagen worden.
Ein ungewöhnlich kühner Regisseur hatte es fertiggebracht, dass sie beide in demselben Film gespielt hatten, der in Frankreich vor der großen Revolution spielte. Die Presse hatte begierig berichtet, was sie von Friseuren, Schneiderinnen und anderen, die hinter den Kulissen arbeiteten, erfahren hatten. Sogar die Tiefe der Decolletes wurde diskutiert. Die Busenschlacht hatte das Publikum wochenlang amüsiert, und der Film war ein Renner geworden.
Es ging das Gerücht darum, dass der Regisseur seitdem in psychotherapeutischer Behandlung war, und die beiden Schauspielerinnen natürlich kein einziges Wort miteinander, dafür aber um so mehr über einander redeten.
Es war eine interessante Episode aus Hollywoods Vergangenheit, besonders, da Charlotte, wenn man sie näher befragte, Eves berufliche Fähigkeiten nicht in Abrede stellen konnte.
Julia fand es aber noch interessanter, dass Charlotte Miller kurze Zeit mit Charlie Gray befreundet gewesen war.
Um ihre Erinnerungen aufzufrischen, spielte Julia einen Teil von dem Interview mit Charlotte noch einmal ab.
»Charlie war ein reizender Mann, witzig und anregend.« Charlottes klare Stimme, die fast immer im Stakkato redete, wurde spürbar wärmer, als sie von ihm sprach. »Er war ein viel besserer Schauspieler, als man damals annahm. Was ihm fehlte, war die Ausstrahlung, das Auftreten des großen männlichen Stars, das die Studios und das Publikum verlangten. Natürlich war er viel zu schade für Eve.«
Jetzt ertönte helles Gebell, und Julia musste lächeln. Charlotte hielt in ihrer Villa drei Pommersche Hütehunde.
»Das sind meine Babys, meine süßen Babys.« Charlotte gurrte und schnalzte mit
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