Erinnerung Des Herzens
entschuldigte sich sogar. Sie hielt mich eine Zeitlang fest und bat mich, sie zu beschützen. Vor dir. Die Schwester blieb bei ihr, bis es hell wurde. Irgendwann danach, und bevor ich um zehn Uhr nach ihr sah, hat sie die Pillen geschluckt.«
»Es tut mir sehr leid, Victor.« Sie hatte die Arme um ihn geschlungen, ihre Wange an seine geschmiegt und schaukelte ihn hin und her wie ein kleines Kind. »Ich würde so gern irgend etwas für dich tun.«
»Das kannst du.« Er legte die Hände auf ihre Schultern und schob sie ein wenig von sich ab. »Du kannst mir versichern, dass du unsere Beziehung ausläßt, was immer du sonst auch geschrieben hast.«
»Wie kannst du so etwas sagen?« Sie zuckte zurück, entsetzt darüber, dass er sie nach all diesen Jahren, all dem Leid, immer noch verletzen konnte.
»Ich muss dich darum bitten, Eve. Nicht meinetwegen, das bestimmt nicht. Aber für Muriel. Wenn sie am Leben bleiben sollte, wäre das zuviel für sie.«
»Fast mein ganzes Leben lang ist Muriel die Überlegene gewesen.«
»Eve ...«
»Nein, zum Teufel.« Sie lief schnell zur Bar hinüber, um Champagner in ihr Glas zu gießen. Ihre Hände zitterten. Kein anderer Mann auf Erden konnte sie dazu bringen zu zittern, dachte sie. Sie wünschte, dass sie ihn dafür hassen könnte.
»Sie ist deine Ehefrau, die Frau, bei der du jedes Weihnachtsfest verbracht hast, die Frau, die Nacht für Nacht in deinem Haus schläft. Ich bin immer gezwungen gewesen, mit dem zu leben, was für mich übrig blieb.«
»Sie ist meine Ehefrau«, sagte er leise, beschämt. »Du bist die Frau, die ich liebe.«
»Glaubst du, dadurch wird es leichter für mich?« Wieviel leichter war es, eine Handvoll Pillen zu schlucken, dachte sie. Alles Leid zu beenden, allen Widrigkeiten zu entfliehen, anstatt sich ihnen zu stellen. »Sie trägt deinen Namen, hat in aller Öffentlichkeit ein Kind von dir ausgetragen. Und ich habe nichts als deine heimlichen Besuche, dein Begehren.«
Es bedrückte ihn sehr, dass er ihr nie mehr hatte geben können. »Wenn ich die Situation hätte ändern können ...«
»Das kannst du nicht. Und ich kann es auch nicht. Dieses Buch ist lebenswichtig für mich. Etwas, das ich nicht aufgeben kann und nicht aufgeben will. Du kannst genauso verlangen, dass ich mein Leben aufgeben soll.«
»Ich bitte dich doch nur, den Teil herauszulassen, der uns betrifft.«
»Uns?« wiederholte sie mit einem kurzen Auflachen. »Dich, mich und Muriel? Und all die anderen, die wir im Laufe der Jahre ins Vertrauen gezogen haben? Angestellte und Freunde, nicht zu vergessen selbstgerechte Priester, die nach einer Strafpredigt die Absolution erteilen?« Sie versuchte, sich etwas zu beruhigen. »Kennst du das Sprichwort nicht, das sagt, ein Geheimnis kann von drei Personen nur dann gewahrt werden, wenn zwei von ihnen tot sind?«
»Es muss doch nicht öffentlich bekannt werden.« Er stand auf und griff nach seinem Glas. »Du musst die Geschichte nicht drucken lassen und in jedem Buchladen, in jedem Supermarkt verkaufen.«
»Mein Leben ist eine öffentliche Angelegenheit, und du bist viele Jahre ein wesentlicher Teil davon gewesen. Weder für dich noch für irgend jemanden sonst werde ich Zensur anlegen.«
»Du wirst uns vernichten, Eve.«
»Nein. Das habe ich auch einmal geglaubt - vor langer Zeit.« Ihre Wut verrauchte vollständig, als sie auf den tanzenden Schaum in ihrem Glas blickte und sich erinnerte. »Jetzt weiß ich, dass ich mich damals geirrt habe. Wahrscheinlich hätte ich uns eher befreit dadurch.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Sie lächelte geheimnisvoll. »Jetzt ist es nur noch wichtig, dass ich mich dazu entschlossen habe.«
»Eve.«-Er versuchte, seine Verärgerung zu unterdrücken, als er zu ihr hinüberging. »Wir sind keine Kinder mehr. Der größte Teil unseres Lebens liegt hinter uns. Für uns beide würde das Buch nichts verändern. Aber für Muriel könnte es statt ein paar Jahren in Frieden ein paar Jahre in der Hölle bedeuten.«
Und was ist mit meiner Hölle? dachte sie, sagte es aber nicht. »Sie ist nicht die einzige, die mit Verlusten und Leid leben muss, Victor.«
»Sie könnte sterben!«
»Wir müssen alle sterben.«
Die Muskeln in seinem Gesicht arbeiteten. Er ballte seine Hände zu Fäusten. »Himmel, ich hatte wirklich vergessen, wie kalt du sein kannst.«
»Dann ist es gut, wenn du dich wieder daran erinnerst.« Trotzdem legte sie eine Hand auf die seine, warm, sanft und liebevoll. »Du solltest
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