Erinnerungen an die Wahrheit
prähistorischer Zeit soll sich die Gottheit Osiris als Kulturbringer um das Wohl Ägyptens sehr verdient gemacht haben, um dann schließlich wieder in himmlische Reiche aufzusteigen. Diesem Vorbild des Osiris sollten alle Könige Ägyptens nacheifern. Man stellte sich offenbar vor, daß der König – nach seinem Tod zur Gottheit geworden – ebenfalls in himmlische Reiche aufstieg und sich dann, in seinem Totentempel angebetet, weiter „von oben aus“ um das Wohl Ägyptens kümmerte. Das symbolische und magische Denken war in der Frühzeit in Ägypten weit verbreitet: demnach konnte nur derjenige König in das Götterreich aufsteigen, der auch als Gottheit im Grab abgebildet ist.
Es war also nach Ansicht der alten Ägypter wichtig, daß Ech-en-Aton und Semenchkare, deren Leichname in Amarna verbrannt waren und die keine Grabstätte erhalten hatten, wenigstens in einem Grab des Enkels bzw. Neffen symbolisch mitbestattet wurden, indem in ihre bereits vorhandenen Särge, die wie üblich gleich bei Amtsantritt hergestellt worden waren, der Sarg des Knaben-Königs gelegt wurde. Ironie der Geschichte: Genau diese wichtigen Osiris-Abbildungen an den Särgen der drei Könige – die der durch die Amun-Anhänger verfemten Aton-Religion angehörten – blieben erhalten und sicherten ihnen somit, als einzige der zahlreichen Pharaonen, nach Auffassung der alten Ägypter ein glanzvolles Leben „in alle Ewigkeit“.
Die kostbare Totenmaske auf der Mumie des Tut-ench-Amun ist vielleicht das bekannteste Stück aus seinem Grab. Sie zeigt ein eindrucksvolles, doch knabenhaftes Antlitz. Sie stellt den König zu Lebzeiten dar (Goldhaube dunkelblau durchbrochen) und dürfte ihn am genauesten porträtieren. Zwischen den Binden der Mumie fand man 143 wertvolle Amulette und Schmuckstücke – teilweise von einzigartiger Schönheit. Das Ergebnis einer Mumienuntersuchung: Der König war noch nicht voll erwachsen, wie Zahn- und Knochenuntersuchungen zeigten, und er kann höchstens 15 Jahre alt gewesen sein. Dagegen läßt der Seherbericht wissen, daß er bei seinem Tod erst 12 Jahre alt war.
Die Mumienuntersuchung zeigte weiterhin aufgrund der Kopfform und der Knochenmerkmale, daß der Knaben-König in ganz enger Verwandtschaft zu dem König in Grab KV 55 gestanden haben muß. Kein Wunder: Es war sein Vater, der dort bestattet worden war! Die beiden mumifizierten, totgeborenen Kinder, die man im Grab des Knaben-Königs gefunden hat, dürften dessen Geschwister sein. Sie waren vermutlich auf Befehl Ejes aus dem aufgebrochenen Grab KV 55 hierhin gebracht worden. Jedenfalls hatte der Knaben-König keine eigenen Kinder.
Das Vermächtnis des Knaben-Königs
Es grenzt fast an ein Wunder, daß das überaus reich ausgestattete Grab des Knaben-Königs nicht geplündert wurde. Stand es unter höherem Schutz? Haben die im allgemeinen unsichtbaren Naturwesen dafür gesorgt, daß es später bei gelegentlichen Wolkenbrüchen, die das Tal der Könige in einen reißenden Fluß verwandeln können, unter Schlamm und Geröll verschwand? (Bei der Öffnung durch Howard Carter blieb es andererseits auf wundersame Weise von einem Unwetter verschont, das ringsumher wütete und großen Schaden im geöffneten Grab hätte anrichten können!) Von Vorteil war natürlich auch, daß der Name Tut-ench-Amun Nebcheprure nicht in den Königslisten auftauchte, und spätere Generationen gar nichts mehr von der Existenz dieses Königs (bzw. dieser beiden Könige) wußten.
Zwar war dem Knaben-König nur ein kurzes, relativ unbedeutendes Leben vergönnt – aber als bestatteter Pharao hat er einmaligen Weltruhm erlangt. Seine eigentliche Bedeutung und sein Vermächtnis treten erst jetzt zutage: Er hält bis auf den heutigen Tag die Erinnerung an die einmalige, lichtvolle Amarna-Zeit unter Ech-en-Aton und Nofretete weiter lebendig! Ech-en-Aton war es auch, der dem Knaben-König kurz vor dessen Tod erschienen war. Dazu abschließend ein Textauszug aus dem Seherbericht („Verwehte Zeit erwacht“):
(…) Aber nachdem abermals ein Tag vergangen war, ohne eine Spur von dem Mägdlein zu bringen, begann Tut-ench-Aton selbst, mit Eje von dem zu sprechen, was aller Seelen bewegte. „Maket-Aton hat uns verlassen; hier auf Erden werden wir sie nicht wiedersehen“, begann er mit leiser Stimme. „Ich habe noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, mein Pharao“, versuchte Eje ihn zu ermutigen. „Warum die Verstellung?“ unterbrach ihn Tut-ench-Aton bitter. „Ich weiß, daß
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