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Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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und Kindern verbringen. Brigitte – so hieß seine Frau – und er hätten entschieden, dass sie dies aus Verantwortung gegenüber den Kindern tun müssten. Sie wollten die Mädchen nicht verstören. Am Tag nach Weihnachten werde er dann mit ihnen bis zum Ende der Schulferien nach Zermatt zum Skilaufen fahren. Ich schrie ihn an, ich konnte nicht aufhören; ich schrie immer weiter, bis er mich schlug und türenknallend und wortlos wegging. Ich dachte, er hätte mir die Nase gebrochen. Sie blutete so heftig, dass nichts half, weder Nasezuhalten noch Eispackungen. Schließlich rief ich den Portier an, und er schickte den Hotelarzt, einen netten rundlichen Mann, der sofort kam, mir die Nase mit Gaze zustopfte und mir ein paar Miltown und Seconal gab. Ich brauchte ihm nicht einmal zu erklären, was passiert war. Ein Blick genügte ihm, er schüttelte den Kopf und sagte, ah, les hommes …
    Sie brach ab und sagte, ich weiß nicht, ob ich weiterreden kann. Gib mir einen Drink und nimm dir um Gottes willen auch einen. Du machst mich ganz nervös, wenn du nur so dasitzt wie eine alte Jungfer. Bist du den Anonymen Alkoholikern beigetreten?
    Sie trank den Whiskey in einem Zug aus und hielt mir das leere Glas entgegen. Ich ging wieder in die Speisekammer und kam mit dem Highball für sie und diesmal einer Dose Macadamianüsse zurück. Das ist gut, sagte sie, viel zu Abend gegessen haben wir nicht. Dieser Teil der Geschichte ist fast zu Ende. Der Rest ist schnell erzählt. Am nächsten Morgen rief er nicht an. Keine Entschuldigung, keine Nachricht, keine Blumen. Nur erbarmungsloses Schweigen. Ich hatte keinen einzigen Freund in Genf, an den ich mich hätte wenden können. Und wenn es eine solche Person gegeben hätte, was hätte ich gesagt, was hätte man tun können? Ich fühlte mich gedemütigt, und ich war noch nie so ganz und gar allein gewesen. Während der Weihnachtstage waren sonst immer Menschen um mich herum gewesen, ich hatte immer zusammen mit anderen gefeiert; wie konnte ich meine Beschämung verbergen? Was sollte ich sagen, wenn ich zu Hause anrief? Wenigstens dazu ließ ich mir etwas einfallen: Ich erzählte Vater, ich sei zum Skilaufen in St. Moritz und würde Silvester anrufen, wenn ich durchkäme. Ja, alles sei wunderbar. Er dachte nicht daran, nach einer Telefonnummer zu fragen, unter der er mich erreichen könne. Vor allem wollte ich mein Gesicht vor den Hotelangestellten wahren – die zählten jetzt für mich –, also kam ich auf die Idee, den Portier zu bitten, dass er mir eine couchette im Nachtzug nach Paris buchte. Dort werde ich die Feiertage verbringen, sagte ich. Ob ich wirklich nach Paris fahren und mich in meinem Apartment verkriechen oderbehaupten sollte, ich sei krank, und bis Neujahr im Bett bleiben, wusste ich nicht. Noch ein anderer Plan kam mir in den Sinn und ließ sich nicht abweisen. Ich würde mich die Hoteltreppen hinunterstürzen – sie waren mit Teppichen belegt – und so tun, als wäre ich gefallen. Ich konnte eine Gehirnerschütterung oder irgendwas in der Art simulieren. Mittlerweile war es spät geworden, ich hatte geweint, und ich war hungrig. Ich ließ mir ein Essen aufs Zimmer bringen. Als der Tisch wieder abgeräumt wurde, bat ich den Kellner, den Wein und das Weinglas stehen zu lassen und mir noch eine Flasche vom gleichen Wein zu bringen. Es war ein Fendant de Sierre, daran erinnere ich mich noch gut. Ich hatte ihn zu dem Fisch aus dem See bestellt, meiner Mahlzeit an dem Abend. Weißwein macht mich immer schläfrig, aber diesmal passierte nichts. Ich saß nur da und trank und weinte immer weiter. Schließlich zog ich mich aus, nahm ein Bad, stieg in meinen Pyjama, legte mich ins Bett und spülte mit dem Rest des Weins eine Seconal und eine Miltown hinunter. Das half wieder nicht, ich wollte aber lange und gut schlafen, also schluckte ich noch eine Seconal. Im Rückblick sehe ich auch, was dann passierte, aber ich kann mich nicht erinnern, wie es passiert ist. Ich muss schlafgewandelt sein, denn das Zimmermädchen fand mich am nächsten Morgen gegen sechs Uhr quer auf der Treppe liegend. Zum Glück war ich bewusstlos. Ich hatte mir ein Bein gebrochen, die Schmerzen wären unerträglich gewesen, und wenn ich noch so laut geschrien hätte, es wäre niemand zur Hilfe gekommen. Das Hotel war wegen der kommenden Feiertage fast leer. Das Problem, mein Gesicht zu wahren, war halbwegs gelöst: Ich war nicht die Dame, die Weihnachten nicht wusste,wohin; ich war die Dame, die zu viel

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