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Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Im Normalfall hätte ich sie besucht, als ich wieder in die Staaten kam und den Sommer über dort blieb, aber diesmal flog ich ohne Unterbrechung an die Westküste, gab in Berkeley einen Kurs in kreativem Schreiben und reiste direkt nach Sharon weiter. Als ich auf dem Rückweg nach Paris Station in New York machte, rief ich an, aber sie waren nicht in der Stadt. Diese verpasste Gelegenheit wäre die letzte gewesen, sie gemeinsam zu sehen; als ich das nächst Mal nach New York flog, war Thomas seit Monaten tot. Der Nachruf stand in der Herald Tribune wie in der New York Times ; Wall Street Journal und Economist brachten größere Artikel. Alle enthielten eine anschauliche Beschreibung des Unfalls. Thomas war am Strand von Bahia schwimmen gegangen und wurde von einem Schnellboot erfasst und getötet, das einen Wasserskiläufer zog. Der Fahrer war allein im Boot und hatte nur mit einer Hand gesteuert, den Blick auf den Skiläufer geheftet, den er nicht aus den Augen verlieren wollte. Beide, Boot und Skiläufer, überfuhren Thomas, das Boot hatte ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort getötet, und Jane, die weit ins Wasser gewatet war, als es zu dem Unfall kam, schrie und schrie.
    Diese zufälligen Erinnerungen waren lebendig wie eigentlich alles, was mir von Thomas im Gedächtnis war, aber mir fiel auf, dass ich mich fast ausschließlich auf Lucy konzentriert hatte, vielleicht, weil ich so gebannt von ihrer Veränderung war, und vielleicht auch, weil ich mich genau genug an Thomas erinnerte, um mir seiner sicher zu sein. Ich hatte ihn gemocht und war gern mit ihm zusammen gewesen; damit schien alles gesagt. Aber wenn ich verstehen wollte, was den beiden als einem Paar zugestoßen war, musste ich versuchen, analytischer über ihn nachzudenken, das wurde mir jetzt klar. Ob ich dazu in der Lage sein würde, wusste ich nicht, und die Gründe dafür sind nicht unabhängig von meiner Art, zu lesen und zu schreiben. Zum Beispiel hatte ich nie gedacht, ich wisse, was ein von mir oder einem anderen geschriebener Roman »eigentlich sagen will«, ein Mangel, der es mir erschwert hat, mit gelegentlichen Buchkritiken ein bescheidenes Zubrot zu verdienen oder Journalisten zu antworten, die wissen wollten, welche Botschaft Leser aus meinem neuesten Buch mitnehmen sollten. Meine Standardantwort – die ehrlich ist und kein lahmer Versuch, ein Koˉan zu prägen – lautet, dass ein Buch das sagen will, was darin steht. In diesem Sinne sind meine Romanpersonen die Summe der Handlungen und Worte, mit denen ich sie ausstatte, so dass eine Kettevon deskriptiven Beiwörtern – ansehnlich, intelligent, ehrgeizig, höflich, schüchtern – kaum eine wertvolle zusätzliche Information für den Leser enthält. Wenn mehr Politur dieser Art gewünscht würde, könnte ich allenfalls etwas in der Größenordnung von »Thomas, göttergleich, Liebling des Hermes, leichtfüßig emporgestiegen« bieten.
    Es stimmte ja, dass Thomas mit erstaunlichem Geschick aufgestiegen war, und wenige Leute könnten das mit mehr Autorität bezeugen als ich, der den höflichen, redseligen GI auf Urlaub in Paris zu seiner vermutlich ersten Cocktailparty eingeladen hatte, der ungefähr vierzig Jahre später sein Gast im angesagtesten Pariser Restaurant war und sah, wie er für Jane, die in der Klatschspalte eines Boulevardblatts womöglich und zu Unrecht als trophy wife bezeichnet würde, goldene Äpfel vom höchsten Ast am Baum des Erfolgs pflückte. Dabei denke ich nicht nur an die Suite im Ritz, den schwarzen BMW mit Fahrer in Livree, der die beiden vom Hotel zum Restaurant chauffiert hatte und in den sie wieder einstiegen, um sich zu einem Ort bringen zu lassen, der normalerweise von Touristen und Schulkindern überlaufen ist, den sie aber in Ruhe und Frieden, nur von einem hochrangigen Kurator begleitet, besichtigen würden. Das waren nur einige von vielen Vergünstigungen für einen sehr reichen Mann, und Thomas war in der Tat sehr reich geworden. Ich vermutete, dass er die Restaurierung des Schlosses mit ansehnlichen Spenden unterstützt hatte, vielleicht war er im Aufsichtsrat der amerikanischen Vereinigung, die so viel für Versailles getan hatte. Möglich war auch, dass es in seinem Fall ausreichte, der zu sein, der er war. Am Tag zuvor hatten er und Jane mittags im Élysée-Palast mit dem Präsidenten gespeist, der Thomasnach den tieferen Ursachen der mexikanischen Schuldenkrise in den achtziger Jahren und die anschließende Restrukturierung fragen wollte

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