Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
leid, und stieg in das Taxi. Zwei, drei Leute blieben neugierig stehen. Bemüht, weder hilfsbedürftig noch bemitleidenswert zu erscheinen, stand ich behende auf, klopfte mir den Staub von den Hosen und der Segeltuchjacke und wollte schon zu Zabar’s weitergehen, als eine der Umstehenden die Hand hob und riet, ich solle lieber die blutende Wunde versorgen lassen. Ich griff mir an die Stirn und zog die Hand zurück; sie war blutig. Dann betrachtete ich in einem Schaufenster mein Spiegelbild und stellte fest, dass das meiste Blut aus einer Platzwunde in meiner rechten Augenbraue quoll. Unmittelbar darüber war auch noch eine weniger besorgniserregende Schürfwunde.
Das Vernähen meiner Schnitte in der Notaufnahme des St. Luke’s-Roosevelt Hospital gleich hinter dem Lincoln Center brauchte weniger Zeit, als ich befürchtet hatte, und ich hörte mit Erleichterung, dass der Arzt in Sharon die Fäden würde ziehen können. Ich musste meine Pläne nicht ändern. Im Le Pain Quotidien an der West Sixty-Fifth Street nahm ich ein Sandwich und einen großen latte zu mir und erledigte dann, sehr zufrieden, dass ich mich so stoisch zeigen konnte, meine Besorgungen bei Zabar’s, packte zu Hause gleich meine Sachen, schrieb kurze Nachrichten an Leute, denen ich ein wennauch nur laues Interesse an meinem Verbleib zutraute, und ging dann, wieder nach einem Abendessen aus Rühreiern, Käse, Pfirsichen und Wein, zu Bett. Das Schmerzmittel, das mir die Ärzte in der Notaufnahme gegeben hatten, zeitigte die erwünschte hypnotische Wirkung. Die Träume, mit denen es mich – davon war ich überzeugt – ebenfalls versorgte, waren so schweinisch, dass ich sie ignorieren konnte. Am Morgen stand ich ausgeruht auf, bewunderte im Badezimmerspiegel mein verpflastertes Gesicht, holte das Auto aus der Garage, lud meine kümmerlichen Habseligkeiten ein und fuhr nach Sharon, procul negotiis , so fern vom Treiben der Menschen, wie es mir möglich war.
In der dritten Augustwoche kam ein Anruf von Bill Taylor. Er war in seinem Haus in Lenox; die Massen, die sich zum Tanglewood Festival wälzten, würden ihn in den Wahnsinn treiben. Ob ich so in die Arbeit vertieft sei, dass ich nicht mit dem Gedanken an einen Gast spielen könne, nicht einmal einen, der nicht nur selbstgenügsam war, sondern auch bloß um eines bat: den ganzen Tag vor sich hin schreiben zu dürfen, und ob ich Platz für ihn hätte? Da ich einen ersten Entwurf meines neuen Romans abgeschlossen hatte, gönnte ich mir eine Atempause, bevor ich mich konzentriert an die Überarbeitung machen musste. Aber selbst wenn ich mitten in der Arbeit gesteckt oder eine Frist hätte einhalten müssen – eine Verpflichtung, auf die ich mich nun schon seit vielen Jahren nicht mehr einließ –, hätte ich Bill dasselbe wie jetzt, nämlich die Wahrheit, gesagt: Ich würde Luftsprünge machen vor lauter Freude über die Aussicht, ihn zu sehen,und er müsse so bald wie möglich kommen und so lange bleiben, bis er Sharon leid sei. Ein Schriftsteller hat immer eine kleine selbstsüchtige Idee im Hinterkopf. Mein Hintergedanke war, dass ich womöglich meinen Text im Dorf ausdrucken lassen konnte, ein Verfahren, das Geld kostete, aber meinen altersschwachen Drucker entlastete, und Bill dazu überreden, dass er ihn las. Er war ein paar Jahre älter als ich; wie Alex hatte er den Krieg mitgemacht, und ich glaube, er war auf dem College in Alex’ Jahrgang. Anders als Alex hatte Bill allerdings nichts mit dem Lampoon oder den Final Clubs zu tun gehabt und war nicht einmal im Signet Mitglied gewesen. Sein Vater weigerte sich, ihm auch nur einen Cent zu geben, und er hatte kein Geld außer seinem Stipendium, den Zuwendungen aus der GI Bill und dem, was er von seinem Sold hatte zurücklegen können. Schon im Herbst seines ersten Collegejahres durfte er an Archie MacLeishs Schreibkurs teilnehmen, eine ungewöhnliche, vielleicht noch nie dagewesene Auszeichnung. Eine Sammlung von Bills Erzählungen wurde nur ein paar Monate nach seinem Examen veröffentlicht. Ich hatte seine hohe Begabung gleich beim Lesen erkannt, inzwischen hatte er viel geschrieben, und jedes neue Buch von ihm verstärkte meine Bewunderung für sein Werk.
Wir waren uns nicht über den Weg gelaufen, bevor ich nach Paris zog, wahrscheinlich weil er sich an den eher einfältigen Seiten des Studentenlebens nicht beteiligt hatte. In meiner Pariser Zeit hatte er engen Kontakt mit einer Reihe von Leuten, die für die Paris Review arbeiteten; einen
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