Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
ein Geräusch oder sie spürten meine Anwesenheit aus einem anderen Grund, jedenfalls drehteer sich auch um, so dass er ihr nicht mehr die Sicht versperrte, und einen Augenblick lang standen wir alle drei nur da und starrten uns an. Dann gewann der komische Aspekt bei mir die Oberhand, und ich sagte: Grüß dich, Lucy! Ich freu mich auf das Dinner übermorgen mit dir und Thomas. Hubert, ein kräftiger Bursche, tat ein paar Schritte in meine Richtung. Ich dachte, er wolle mir einen Kinnhaken verpassen, aber sie schrie auf, und er besann sich, schob sie ins Zimmer, folgte ihr und knallte die Tür hinter sich zu. Ich holte tief Luft und ging hinunter auf ein Wort mit dem Portier. Ich fragte ihn, ob Miss De Bourgh im Hotel wohne. Irgendwie dachte ich mir, dass sie den Namen Snow nicht benutzen würde. De Bourgh, antwortete er, natürlich, Miss Lucy De Bourgh, sie besitzt hier ein Apartment. Auf Ihrem Stockwerk, Mylord. Der Mann ist Brite, verstehst du. War früher im Claridge und kennt mich gut. Und Monsieur Brillard? Der Name war mir wieder eingefallen. Oh ja, Mylord, er ist recht oft hier. Er ist Miss De Bourghs Vetter und wohnt in ihrem Apartment.«
Alex, fuhr Thomas fort, ich hörte Will zu und dachte, ich sei in einem schlechten Traum gefangen. Aber nein, ich war in der Hotelsuite meines Freundes Reading, lauschte seiner wunderbar kultivierten Stimme mit den vornehm artikulierten Vokalen, dem leichten Stottern, das überhaupt nicht stört – ihn sogar noch eloquenter macht –, und er bot mir einen Scotch an, obwohl es noch vor elf war. Während ich trank, redete die wohlklingende Stimme weiter. »Thomas, alter Freund«, hörte ich, »ich weiß, dass ich dich verletze, aber wie hätte ich dich mit dieser Ungeheuerlichkeit verschonen können?« Konntest du nicht, antwortete ich, du hast das Richtige getan.
Und das ist das Ende der Geschichte, die mir Thomas an jenem Nachmittag erzählte, sagte Alex. Jetzt rede wieder ich, Alex.
Was soll ich machen?, fragte mich Thomas, als er zu Ende erzählt hatte. So tun, als wüsste ich nicht Bescheid? Reading morgen zum Dinner kommen lassen – wenn er dazu bereit ist – und allenfalls gestatten, dass er Lucy einen Wink gibt, während ich ihr einen neuen Drink hole? Oder soll ich sie verlassen, das, was ich eigentlich will? Wenn ich sie verlasse, muss es heute sein, meine ich. Ich möchte nicht die Nacht mit ihr verbringen.
Ich sagte Thomas, eine Antwort auf diese Fragen könne nur er selbst finden. Wenn er sich aber für das Bleiben entscheide und vorgebe, das Gespräch mit Reading habe nicht stattgefunden, solle er davon ausgehen, dass Lucy ihn durchschauen würde. Sie würde wissen, dass er Bescheid wusste. Warum hätte Reading beschließen sollen, dir nichts zu erzählen?, sagte ich. Ihr seid immer noch gute Freunde.
Ja, antwortete Thomas, und nicht nur aus Geschäftsgründen. Wir treffen uns immer, wenn er hier ist oder ich in London zu tun habe. Und ja, das habe ich mich auch gefragt. Vielleicht denkt sie, dass Reading beschlossen hat, nichts zu sagen, weil seine erste Warnung damals keine Wirkung hatte und stattdessen beinahe unsere Freundschaft zerstört hätte. Ich weiß, dass er seitdem jedes Mal befangen ist, wenn er Lucy sieht. Er könnte sich gesagt haben: Ich will mich nicht noch mal einmischen, das bringt mich nur in Schwierigkeiten.
Möglich ist das, sagte ich.
Thomas schüttelte den Kopf. Ich kann nicht so tun, als wüsste ich nicht Bescheid. Ich kann nicht mit ihr leben,als wäre es nicht geschehen. Und ich könnte ihr nicht glauben, wenn wir offen darüber reden und sie versprechen würde, dass es nie wieder vorkommt. Es geht eigentlich nur um Jamie. Wie kann ich ihn mit ihr allein lassen? Wie kann ich ohne ihn leben?
Und als ich Thomas fragte: Verlässt du ihn denn? Verlässt er nicht eher dich, wenn er ins Internat geht? Meinst du nicht, dass sie einer vernünftigen Vereinbarung über Besuche und dergleichen zustimmen wird?
Thomas sagte, wenn er sachlich mit der Situation umgehen könnte, würde er so denken wie ich: Jamie stehe kurz vor dem Abschluss an der Buckley School; ein junger Lehrer aus dem St. Bernard’s, der seit drei Jahren für Jamie Tutor und Babysitter in einem sei, habe sich einverstanden erklärt, in den Sommerferien bei ihm in Little Compton zu bleiben, da Lucy angekündigt habe, sie werde nur drei Wochen im August dort sein, und ob er den ganzen Juli Urlaub nehmen könne, wisse er noch nicht; und es sei richtig, vom Herbst an
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