Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
festzuhalten, statt ihn durch eine Nummer, die er wirklich nicht mehr hinnehmen konnte, in die Scheidung zu treiben. Er wäre sehr wahrscheinlich bei ihr geblieben, und für sie wäre unweigerlich die Zeit gekommen, da sie am Wettschalter einen reichen Gewinn einstreichen konnte. Am Ende hätte sie dann Thomas, seine Stellung und sein Geld »ausgenutzt«. Kann ein Paar zusammenbleiben, wenn der eine Partner dem anderen neidet, was ungleich gegeben oder empfangen wurde? Meiner Meinung nach nicht, und wenn ich recht habe, würde sich bei einem Paar, das nicht unter ungefähr gleichen Voraussetzungen in die Ehe eintritt, allesum die Frage drehen, ob der »Aufstieg« die Absicht des anfänglich ärmeren oder gesellschaftlich unterlegenen Partners war. Diese Wette konnte ich weder gewinnen noch verlieren, ich hätte aber eine beliebig hohe Summe darauf gesetzt, dass Thomas Lucy geheiratet hatte, weil er so in sie vernarrt war, dass er sie nicht verlieren wollte, und weil er fürchtete, dass es dazu käme, wenn er nicht den Sprung ins Ungewisse wagte. Damit will ich jedoch nicht abstreiten, dass auch ein ausgeprägter Instinkt für Selbsterhaltung in ihm steckte, so dass er, angesichts ihres Lifestyles – um ein scheußliches Wort zu verwenden, das damals noch nicht geläufig war –, ihrer Vorstellungen von dem, was das Leben ihr schuldete, und ihrer psychischen Labilität, das Risiko einer Ehe mit ihr nicht eingegangen wäre, hätte sie nicht genug Geld gehabt. Und weil Thomas nicht ganz so schlicht und aufrecht war, wie er manchmal wirkte, war es eine offene Frage, ob Lucys Lifestyle und Labilität nicht ein Lockmittel wie Katzenminze waren, mit einem Aroma verführerisch wie Sex, dem er nicht hatte widerstehen können.
Als ich noch einmal las, was ich da geschrieben hatte, musste ich bei der Vorstellung vom »Lockmittel Katzenminze« lachen. Wenn der süße Duft von Lucys Geld und ihrer Position in der gesellschaftlichen Rangordnung tatsächlich Thomas’ Entscheidung bestimmt oder ihm auch nur mit einem leichten Schubs dazu verholfen hätte, dann wäre er ein Idiot gewesen. Sicher, Lucys Geld hatte das Leben in Boston und New York während der ersten Jahre sehr viel angenehmer gestaltet. Sicher, er hatte die Süße der historischen Bedeutung und gesellschaftlichen Stellung der De Bourghs genießen können, schuldbewusst und meist insgeheim, als Zutaten, die auch dieLust am Vögeln mit Miss Lucy steigerten. Aber dass sie ihm als Räuberleiter, als Fußbank gedient hätte? Reiner Blödsinn! Stattdessen sah ich, wie sie ihn ständig verachtete und wie diese Verachtung und das Zerwürfnis mit Lucy an Thomas’ Energie zehrten und ihm zwangsläufig die Flügel beschnitten hätten, wenn er weniger widerstandsfähig gewesen wäre. Da war nichts zu machen. Nicht Lucy allein war schuld; beide hatten es vermasselt.
Unaufhaltsam führten mich meine Überlegungen zu Alex’ Diagnose, dass die Ehe zum Scheitern verurteilt war, weil Lucy Thomas im Grunde nicht leiden konnte. Alex hatte wahrscheinlich recht. Hätte sie ihn gerngehabt, dann wäre sie großzügiger gewesen, und sie hätte Hubert nicht wieder in ihr Leben eingelassen. Aber warum hatte sie ihn nicht leiden können? Er war ansehnlich, liebenswürdig und eindeutig zum Erfolg bestimmt. Sie hatte ihn sich ausgesucht. Wo war sie in die Irre gegangen?
Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zu Zabar’s, weil ich meine Räucherfischvorräte auffüllen wollte, um sie am nächsten Tag mit nach Sharon zu nehmen, wo ich den Sommer über bleiben würde. Ich war schon auf dem Broadway, ungefähr hundert Meter von dem Geschäft entfernt, als eine junge Frau, die ein paar Schritte vor mir ging und sehr erregt in ihr Handy sprach, plötzlich die Richtung wechselte und zum Straßenrand lief, um sich ein Taxi zu sichern, aus dem gerade ein Passagier ausstieg. Vielleicht, weil ich nur Augen für ihre dichte rote Lockenmähne hatte, übersah ich den kleinen Koffer, den sie hinter sich herzog, undlief geradeaus weiter, bis ich über etwas stolperte, eine Kordel, die von ihrem Koffer herabhing und die ich zu spät sah. Ich hatte die Hände im Rücken verschränkt, eine Gewohnheit, die teils affektiert ist, teils ein Versuch, meine ständigen Kreuzschmerzen zu lindern. Ich konnte sie nicht schnell genug nach vorn strecken, um den Sturz abzufangen, und hörte einen eindrucksvollen dumpfen Schlag, als ich mit der Stirn auf den Gehsteig prallte. Die junge Frau sagte: Oh je, tut mir
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