Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
und allgemeiner nach den Lehren, die Banken daraus ziehen sollten, bevor sie Russland Gelder liehen. Und zwei Tage später würden Jane und er zum Dinner mit dem Vorstandsvorsitzenden der Banque de France gehen, mit dem Thomas gut bekannt war und der sich für ähnliche Fragen interessierte. Es war klar, und mir war es schon seit langem klar, dass Thomas kraft ungewöhnlicher Begabung und persönlicher Überzeugungskraft in einen Kreis aufgestiegen war, in dem sich nur ganz wenige Financiers bewegten, und dass er aus eigener Kraft so weit nach oben gekommen war. Ich dachte an seine gelegentlichen Berichte über die Krise, die zuerst Mexiko und dann ein Land nach dem anderen südlich der Grenze an den Rand des Abgrundes getrieben hatte, über die Folgerungen, die er daraus gezogen hatte, und über den Prozess, in dessen Verlauf er den Regierungsvertretern, die seine Klienten waren, seine Vorstellungen so weit plausibel machen konnte, dass sie die Maßnahmen ergriffen, die er für notwendig hielt. Seine Berichte waren intellektuell und leidenschaftslos und sehr verschieden von den Kriegsgeschichten, die andere hochrangige Investmentbanker – mein Vetter Josiah zum Beispiel – zum Besten gaben, diese Prahlereien von heroischen Anstrengungen um gewaltige Abschlüsse, deren Schicksal am seidenen Faden hing, bis sie durch ein mitten in der Nacht geführtes Telefonat auf die sichere Seite gebracht wurden. Ganz selten sprach auch Thomas vom menschlichen Aspekt seiner geschäftlichen Großtaten, aber in seinen Anekdoten schwang unweigerlich eine etwas resignierte Selbstironie mit.
Warum habe ich mir dann erlaubt, Thomas als einen »Emporkömmling« anzusehen, mit all den herabsetzenden Implikationen dieses Ausdrucks? Wo waren die egalitären, eher linken Tendenzen und Ansprüche meiner Zeit als Bürgerrechtler geblieben? Selbsterkenntnis zeigte mir den konservativen Snob in mir, der die Augen nicht von einem belastenden Beweisstück lassen konnte: Kaum flügge geworden, hatte dieser Selfmademan die Tollkühnheit besessen, eine hochgeborene Erbin zu heiraten. Diese säuerlichen Überlegungen führten mich zurück zu dem Nachmittag, als Lucy ihn zum ersten Mal mitbrachte und ich es amüsant fand, dass sie mir einen Verehrer präsentierte, der nicht ihrer Gesellschaftsschicht angehörte – ausgerechnet einen townie ! Und beim Grübeln über meine leichtfertige Reaktion musste ich zu dem Schluss kommen, dass ich mit meiner scheußlichen Wortwahl ins Schwarze getroffen hatte: Natürlich war Thomas ein Aufsteiger, und Lucy hatte nicht unrecht, wenn sie schimpfte, dass er etwas erreichen wollte und sie als Trittleiter benutzte. Er hatte sich ihre gesellschaftliche Stellung zunutze gemacht und auch ihr bescheidenes Vermögen, das ihm damals ziemlich groß vorgekommen sein muss. Aber wie hätte es anders sein können, wenn sie heiraten oder auch – damals unvorstellbar – in Sünde zusammenleben wollten? Hätte er vermeiden können, ihre Familie und Freunde kennenzulernen? Wäre es ihr lieber gewesen, wenn sie und Thomas die Sommerferien, Weihnachten, Thanksgiving und andere Feiertage mit Mrs. und Mr. Snow Senior verbracht hätten, in deren mit Aluminiumschindeln verkleidetem Haus im Kolonialstil irgendwo im falschen Teil von Newport, statt in dem Herrenhaus in Little Compton, das sie geerbt hatte, oderdem Familiensitz der De Bourghs in Bristol? Hätte sie all die Jahre, während er noch Student war oder ein karges Gehalt bezog, im engen Rahmen seiner Mittel leben wollen? Das hätte eine Adresse in Waltham oder Somerville statt in der Beacon Street bedeutet, solange er noch an der Business School studierte, auch später, als sie ihre Analyse fortsetzte und er die Forschungs- und Lehraufträge an der Business School hatte, und der Umzug nach New York hätte eine Wohnung in Brooklyn oder der Wildnis der West Side oder gar – Gott behüte – Hoboken zur Folge gehabt. Hätte ihr das gepasst? Ganz und gar nicht, wenn meine Erinnerung an meinen ersten Besuch bei ihnen in der Park Avenue korrekt war. Sie hätte ohne Kinderfrauen, ohne ganztägige Putzhilfen und Haushälterinnen auskommen müssen; wie sie mit Jamie fertiggeworden wäre, ist gar nicht auszudenken. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie, materiell gesehen, ziemlich gut dagestanden hätte, wenn sie sich auf Langzeitplanung verstanden hätte oder auch nur eine Spielerin mit starken Nerven gewesen wäre, wenn sie sorgfältig darauf geachtet hätte, an Thomas
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