Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
– Ich erwiderte: »Eure kaiserliche Majestät wird ihm, wenn Sie es für passend halten, einfach die Gründe sagen, wegen derer ich mir Ihre Ungnade und den Haß des Großfürsten zugezogen habe.« – »Und wovon wollen Sie bei Ihren Verwandten leben?« fragte sie. – »Wovon ich lebte, ehe Sie mir die Ehre erwiesen, mich hierher zu rufen!« erwiderte ich. – Hierauf bemerkte sie: »Ihre Mutter ist flüchtig, hat ihr Land verlassen und sich nach Paris zurückziehen müssen.« – »Ich weiß es,« sagte ich, »man hat sie für eine allzu ergebene Anhängerin Rußlands gehalten, und der König von Preußen verfolgt sie.« Zum zweiten Male forderte mich jetzt die Kaiserin auf, mich zu erheben; und als ich es getan, entfernte sie sich nachdenklich von mir.
Das Zimmer, in dem wir uns befanden, war sehr lang und hatte drei Fenster, zwischen denen zwei Tische mit den goldenen Waschgeschirren der Kaiserin standen. Außer ihr, dem Großfürsten, Alexander Schuwaloff und mir befand sich niemand in dem Gemache. Der Kaiserin gegenüber standen zwei große spanische Wände, vor die man ein Sofa gestellt hatte. Anfangs vermutete ich hinter diesen spanischen Wänden unzweifelhaft Iwan Schuwaloff und vielleicht auch seinen Vetter, den Grafen Peter. Später erfuhr ich denn auch, daß meine Vermutungen zum Teil richtig waren und Iwan Schuwaloff wirklich dahinter gestanden hatte. Ich näherte mich dem Toilettentisch, welcher der Türe, durch die ich eingetreten war, am nächsten stand und bemerkte, daß in dem Waschbecken verschiedene zusammengefaltete Briefe lagen. In diesem Augenblickaber kam die Kaiserin wieder auf mich zu und sagte: »Gott ist mein Zeuge, wie viel ich um Sie geweint habe. Als Sie nach Ihrer Ankunft in Rußland todkrank wurden, habe ich mich sehr um Sie gesorgt; und hätte ich Sie nicht wahrhaft geliebt, ich würde Sie gewiß nicht behalten haben.« – Dies sollte, wie es mir schien, eine Verwahrung dagegen sein, daß ich gesagt, ich habe mir ihre Ungnade zugezogen. Als Antwort dankte ich Ihrer Majestät für alle Güte und alles Wohlwollen, das sie mir damals und später bewiesen, und sagte, die Erinnerung daran würde sich nie in meinem Gedächtnis verwischen, und stets würde ich es als mein größtes Unglück betrachten, ihr Mißfallen erregt zu haben. Nun trat sie ganz nahe zu mir heran und sagte: »Sie sind überaus stolz. Erinnern Sie sich wohl, daß ich Sie einmal im Sommerpalast fragte, ob Sie Halsweh hätten, weil ich bemerkte, daß Sie mich kaum grüßten? Aber Sie hatten nur aus Stolz mit einem bloßen Kopfnicken gegrüßt.« – »Mein Gott, Madame,« erwiderte ich, »wie können Sie glauben, daß ich Ihnen gegenüber hätte stolz sein wollen? Ich schwöre Ihnen, es ist mir nie im entferntesten in den Sinn gekommen, daß diese Frage, die Sie vor vier Jahren an mich richteten, eine solche Beziehung haben könnte.« – Und nun sagte sie: »Sie bilden sich ein, niemand habe so viel Geist, als Sie,« worauf ich antwortete: »wenn ich diesen Glauben habe, so ist nichts geeigneter, mich zu enttäuschen, als mein gegenwärtiger Zustand und unsere Unterredung, denn ich sehe, daß ich bis zu dieser Stunde rein aus Dummheit nicht begriffen habe, was Ihnen gefiel, mir vor vier Jahren zu sagen.«
Während Ihre Majestät mit mir sprach, flüsterte der Großfürst mit dem Grafen Schuwaloff. Sie bemerkte es und näherte sich ihnen. Sie standen etwa in der Mitte des Zimmers, und ich verstand daher nur wenig von dem, was siemiteinander redeten. Außerdem sprachen sie nicht gerade laut, und das Zimmer war sehr groß. Schließlich aber hörte ich doch, wie der Großfürst mit ziemlich erhobener Stimme sagte: »Ja, sie ist furchtbar schlecht und außerordentlich dickköpfig!« Als ich hörte, daß es sich um mich handelte, wandte ich mich an ihn und sagte: »Wenn Sie von mir sprechen, so gewährt es mir großes Vergnügen, Ihnen in Gegenwart Ihrer kaiserlichen Majestät zu sagen, daß ich in der Tat denen gegenüber schlecht bin, die Ihnen zu Ungerechtigkeiten raten. Dickköpfig bin ich nur geworden, weil ich sehe, daß meine Sanftmut und Freundlichkeit zu nichts führt, als zu Ihrer Feindschaft.« – Er wandte sich an die Kaiserin und bemerkte: »An dem, was sie sagt, können Eure Majestät ja selbst sehen, wie schlecht sie ist.« – Auf die Kaiserin indes, die unendlich viel mehr Geist besaß als der Großfürst, machten meine Worte einen andern Eindruck, und ich sah deutlich, daß, je mehr unsere Unterredung
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