Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
fortschritt, sie, obgleich man ihr sicher empfohlen hatte, oder sie selbst entschlossen war, strenge gegen mich zu verfahren, allmählich ganz gegen ihren Willen und trotz ihrer Entschlüsse milder gestimmt wurde. Dennoch wandte sie sich an ihn und sagte: »O, Sie wissen noch lange nicht alles, was sie gegen Ihre Räte und besonders gegen Brockdorf geäußert hat, hinsichtlich jenes Menschen, den Sie haben verhaften lassen.« Dies mußte als ein förmlicher Verrat meinerseits gegen den Großfürsten erscheinen, denn er wußte kein Wort von meiner Unterhaltung mit der Kaiserin im Sommerpalast. Ueberdies sah er seinen Brockdorf, der ihm so teuer und wertvoll geworden war, bei der Kaiserin angeklagt, und zwar durch mich. Dadurch gestaltete sich natürlich unser Verhältnis schlechter als je, machte uns vielleicht für immer unversöhnlich und raubte mir das Vertrauen des Großfürsten. Ich fiel wie aus den Wolken, als ich die Kaiserin in meiner Gegenwart so zudem Großfürsten reden hörte, und sah, wie sie das, was ich ihr nur zum Besten ihres Neffen gesagt zu haben glaubte, als mörderische Waffe gegen mich kehrte. Sehr überrascht von diesem plötzlichen Vertrauen der Kaiserin, rief der Großfürst: »Ah! diese Geschichte kannte ich ja gar nicht; sie ist sehr gut und beweist vollkommen ihre Schlechtigkeit.« – Ich dachte für mich: »Gott weiß, wessen Schlechtigkeit sie beweist!«
Von Brockdorf ging Ihre Majestät plötzlich auf das zwischen Stambke und Graf Bestuscheff entdeckte Einverständnis über und sagte: »Ich kann mir unmöglich denken, wie dieser Mensch zu entschuldigen ist, der doch mit einem Staatsgefangenen in Verkehr gestanden hat.« – Da indes in dieser Sache mein Name nicht erwähnt worden war, schwieg ich, zumal mir die Aeußerung ohne Beziehung auf mich schien. Aber die Kaiserin näherte sich mir und begann: »Sie mischen sich in viele Dinge, die Sie nichts angehen. Ich würde nicht gewagt haben, dies zur Zeit der Kaiserin Anna zu tun. Wie zum Beispiel konnten Sie wagen, Befehle an den Marschall Apraxin zu schicken?« – »Ich!« rief ich, »nie ist es mir eingefallen, ihm Befehle zu schicken.« – »Wie?« fragte sie »können Sie wohl leugnen, daß Sie ihm geschrieben haben? Ihre Briefe befinden sich hier in diesem Becken« – sie deutete mit dem Finger darauf hin – »und doch ist Ihnen aufs strengste verboten, zu schreiben.« – Hierauf antwortete ich: »Es ist wahr, ich habe dies Verbot übertreten und bitte Sie deshalb um Verzeihung. Da aber meine Briefe hier sind, können Eure Majestät sich ja selbst überzeugen, daß ich niemals Befehle geschickt habe, sondern ihm nur mitteilte, was man von seinem Benehmen dächte.« – Sie unterbrach mich mit den Worten: »Und weshalb schrieben Sie ihm dies?« – Ich erwiderte ganz offen: »Weil ich mich für den Marschall, dem ich sehr geneigt war, interessierte.Ich bat ihn nur, Ihre Befehle zu befolgen. Von den beiden andern Briefen enthält der eine weiter nichts als einen Glückwunsch zu der Geburt seines Sohnes, und der andere einige Wünsche zum neuen Jahr.« – »Bestuscheff behauptet, es wären noch viele andere da,« rief sie. – Ich antwortete: »wenn Bestuscheff dies sagt, so lügt er.« – »Nun wohl,« entgegnete sie, »da er in Beziehung auf Sie lügt, werde ich ihn foltern lassen.« – Sie glaubte mich nämlich dadurch in Schrecken zu jagen, aber ich antwortete ihr ruhig, sie sei Herrscherin und könne tun, was ihr gut dünke; ich habe nichts an Apraxin geschrieben, als diese drei Briefe. Darauf schwieg sie und schien sich zu sammeln.
Das sind natürlich nur die hervorstechendsten Züge dieser Unterredung, die mir im Gedächtnis geblieben sind; überdies wäre es mir ganz unmöglich, alles zu erwähnen, was während der anderthalb Stunden gesprochen wurde. Die Kaiserin ging im Zimmer auf und ab, sich bald an mich, bald an ihren Herrn Neffen wendend, öfter aber noch an den Grafen Alexander Schuwaloff, mit dem der Großfürst sich meist unterhielt, wenn die Kaiserin mit mir sprach. Ich habe schon oben bemerkt, daß ich an dieser weniger Zorn als Sorge wahrnahm. Was den Großfürsten anbetraf, so ließ er in allen seinen Reden während der Unterhaltung viel Galle, Heftigkeit und Eifer gegen mich durchblicken. Er suchte Ihre Majestät so viel er konnte gegen mich aufzuhetzen. Da er sich aber höchst einfältig dabei benahm und mehr Leidenschaftlichkeit als Gerechtigkeit zeigte, verfehlte er sein Ziel, und die Kaiserin stellte
Weitere Kostenlose Bücher