Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Bälle gab der Oberpolizeimeister Tatistscheff in einem der Kaiserin gehörenden Hause, das den Namen Smolloy Dworetz führte. Der mittlere Teil dieses ganz aus Holz gebauten Hauses war durch eine Feuersbrunst zerstört worden und nur die aus je zwei Etagen bestehenden Flügel waren stehen geblieben. In dem einen tanzte und in dem andern soupierte man. Um aber zum Souper zu gehen, mußte man den beschneiten Hof durchschreiten, noch dazu im kältesten Monat, im Januar. Nach der Tafel galt es, denselben Weg wieder zurückzulegen. Als wir von diesem Balle nach Hause kamen, legte sich der Großfürst sofort zu Bett, aber am folgenden Morgen erwachte er mit den heftigsten Kopfschmerzen, die ihn verhinderten, aufzustehen. Ich ließ sofort die Aerzte rufen, welche erklärten, es sei ein hitziges Fieber. Gegen Abend brachte man ihn dann in mein Audienzzimmer, wo man ihn, nachdem ihm zur Ader gelassen worden, auf ein besonders dazu aufgeschlagenes Lager legte. Er befand sich sehr schlecht, und man ließ ihn wiederholt zur Ader. Die Kaiserin kam mehrmals des Tages zu ihm und bewies mir große Teilnahme, als sie mich weinen sah. Eines Abends, als ich eben die Abendgebete in einem kleinen Betstuhl nahe bei meinem Toilettenzimmer las, trat Madame Ismailoff, die in großer Gunst bei der Kaiserin stand, ein. Sie sagte, die Kaiserin, die mich wegen der Krankheit des Großfürsten betrübt wisse, habe sie geschickt, um mir zu sagen, ich solle Zuversicht zu Gott haben, mich nicht grämen und überzeugt sein, daß sie mich nie verlassen werde. Darauf fragte sie mich, was ich lese. Ich erwiderte: »Die Abendgebete«. Sie erklärte, ich würde mir die Augen verderben, wenn ich bei Licht so kleine Buchstaben läse, worauf ich sie bat, Ihrer kaiserlichen Majestät für ihre Freundlichkeit zu danken. Wir trennten uns aufs herzlichste, sie um ihre Botschaft zu berichten, ich, um mich schlafen zu legen. Am folgenden Morgen schickte mir die Kaiserin ein Gebetbuch mit großen Buchstaben, um, wie sie sagte, meine Augen zu schonen.
Obwohl das Zimmer des Großfürsten an das meinige stieß, betrat ich es nur, wenn ich nicht überflüssig zu sein glaubte, denn ich bemerkte, daß ihm nicht viel an meiner Anwesenheit lag. Ihm war die Gesellschaft seiner Umgebung lieber, die mir durchaus nicht gefiel. Außerdem war ich nicht gewöhnt, allein unter Männern zu verkehren. Inzwischen kam die Fastenzeit heran und ich unterzog mich während der ersten Wochen den religiösen Uebungen, umsomehr, da ich gerade damals besonders zu dergleichen aufgelegt war. Ich sah deutlich, daß der Großfürst mich nicht liebte. Vierzehn Tage nach meiner Hochzeit hatte er mir von neuem anvertraut, daß er in Fräulein Carr, eine Ehrendame Ihrer Majestät, die später einen Fürsten Galitzin, den Stallmeister der Kaiserin, heiratete, verliebt sei. Dem Grafen Devierre, seinem Kammerherrn, hatte er gesagt, diese Dame sei gar nicht mit mir zu vergleichen. Und als Devierre das Gegenteil behauptete, hatte er sich mit ihm erzürnt. Diese Szene war gewissermaßen in meiner Gegenwart vor sich gegangen, und ich mußte nun ihr Schmollen mit ansehen. In der Tat sagte ich mir, daß ich mit dem Menschen sehr unglücklich werden müsse, wenn ich mich Gefühlen der Zärtlichkeit für ihn hingebe, die er so schlecht erwidere, und daß ich ohne Nutzen für irgend jemand vor Eifersucht sterben könne. So versuchte ich denn, meine Eigenliebe zu bezwingen und nicht auf einen solchen Mann eifersüchtig zu sein; aber dafür gab es nur ein Mittel: ihn nicht lieben. Wenn er hätte geliebt sein wollen, so wäre dies nicht schwer für mich gewesen; ich war von Natur geneigt, meine Pflichten zu erfüllen, aber ich hätte einen Gemahl haben müssen, der gesunden Menschenverstand besaß, und den hatte Peter nicht.
Viertes Kapitel.
Mein Verhalten während der Fasten. – Das Marionettentheater des Großfürsten. – Eine interessante Entdeckung. – Zorn der Kaiserin Elisabeth gegen ihren Neffen. – Meine Leute finden Mittel, meine Ehrendame, Madame Kruse, betrunken zu machen. – Ernennung des Fürsten Repnin zum Begleiter des Großfürsten. – Repnins Charakter. – Madame Cschoglokoff wird zu meiner Oberhofmeisterin ernannt. – Die drei Czernitscheffs. – Reise nach Reval. – Abreise von dort nach Katharinental. – Allianzvertrag zwischen Rußland und Österreich. – Flottenmanöver. – Rückkehr nach Petersburg.
Während der ersten Woche der großen Fasten aß ich kein Fleisch. Die
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